Leitsatz (amtlich)
Ein für den Arbeitnehmer nachteiliger Tarifvertrag (hier Kündigungsfristen während der Probezeit) findet nach den Grundsätzen der tariflichen Übung auf das Arbeitsverhältnis dann keine Anwendung, wenn der Arbeitnehmer die betriebliche Übung weder kannte noch kennen musste.
Verfahrensgang
ArbG Schwerin (Aktenzeichen 9 Ca 1889/94) |
Nachgehend
Tenor
I. Die Berufung der Beklagten wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
II. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die richtige Kündigungsfrist und damit zusammenhängende Lohnansprüche des Klägers.
Der Kläger begann am 3.5.1994 bei der Beklagten eine Tätigkeit als Kranfahrer zu einem Bruttostundenverdienst von 13,80 DM bei einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden. Der Kläger ist Mitglied der IG Metall. In dem Manteltarifvertrag für gewerbliche Arbeitnehmer und des privaten Verkehrsgewerbes, der auf seiten der Gewerkschaft von der ÖTV abgeschlossen worden ist, heißt es unter § 3 Ziffer 2 unter der Überschrift „Probezeit”:
Biszum Ablauf der Probezeit kann das Arbeitsverhältnis beiderseits mit einer Frist von einem Werktag gekündigt werden. Die Kündigung des Probearbeitsverhältnisses kann beiderseits bis zum letzten Tag der Probezeit erfolgen.
Am 5.5. kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis des Klägers zum Ablauf des 6.5.1994 mündlich.
Auf seine am 19.5.1994 beim Arbeitsgericht Schwerin eingegangene Klage hat das Arbeitsgericht Schwerin durch Urteil vom 14.12.1994 festgestellt, daß das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht durch die Kündigung der Beklagten vom 5.5.1994 zum 6.5.1994 aufgelöst worden ist, sondern über diesen Zeitraum hinaus bis zum 15.6.1994 fortbestanden hat, und die Beklagte verurteilt, an den Kläger 3.091,20 DM brutto abzüglich 1.375,00 netto (Arbeitslosengeld) zu zahlen. Die Kosten des Rechtsstreits hat es der Beklagten auferlegt. Der Streitwert ist auf 3.091,20 DM festgesetzt worden.
In den Entscheidungsgründen hat das Arbeitsgericht ausgeführt, die Kündigungsfrist bestimme sich im vorliegenden Fall nach § 622 Absatz 1 BGB, wonach das Arbeitsverhältnis eines Arbeiters oder eines Angestellten mit einer Frist von vier Wochen zum 15. oder zum Ende eines Kalendermonats gekündigt werden könne.
Die Kündigungsfrist des § 3 Ziffer 2 des Manteltarifvertrages für gewerbliche Arbeitnehmer des privaten Transportgewerbes finde mangels beiderseitiger Tarifbindung keine Anwendung. Die Beklagte könne sich auch nicht auf eine betriebliche Übung der Gestalt berufen, daß der Manteltarifvertrag angewendet werde. Eine derartige betriebliche Übung hätte dem Kläger bei Abschluß des Arbeitsvertrages bekannt gewesen sein müssen oder bekannt sein müssen, so daß nach den Umständen davon auszugehen sei, daß er in diese eingewilligt habe. Anhaltspunkte hierfür lägen nicht vor. Damit habe das Arbeitsverhältnis nach Ablauf von vier Wochen zum 15.6.1994 sein Ende gefunden. Der Antrag zu 2 sei aus § 615 BGB begründet. Die Beklagte sei in Annahmeverzug gewesen.
Dieses Urteil ist der Beklagten am 30.1.1995 zugestellt worden. Sie hat dagegen Berufung eingelegt, die am 13.2.1995 nebst Begründung beim Landesarbeitsgericht eingegangen ist.
Die Beklagte ist der Auffassung, die betriebliche Übung brauche dem neu in den Betrieb eintretenden Arbeitnehmer nicht ausdrücklich mitgeteilt werden. Nur dann, wenn der neu Eintretende von der betrieblichen Übung ausgenommen werden solle, müsse dies deutlich bei Begründung des Arbeitsverhältnisses gesagt werden.
Wenn man der Argumentation des Arbeitsgerichts folgen wollte, bedürfte es keiner betrieblichen Übung mehr, weil dann nämlich die Bekanntgabe der tariflichen Regelung und die stillschweigende Annahme durch den Arbeitnehmer von selbst zum Vertragsinhalt durch korrespondierende Willenserklärung geworden wäre. Danach wäre die Konstruktion über eine betriebliche Übung überflüssig.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Schwerin abzuändern und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er bestreitet mit Nichtwissen, daß die Beklagte Mitglied des Verbandes der Fuhrunternehmer und Spediteure des Landes Mecklenburg-Vorpommern ist und den hier streitbefangenen Manteltarifvertrag auf alle Beschäftigten, unabhängig davon, ob diese organisiert seien oder nicht, anwendet.
Im übrigen wird auf die vorbereitenden Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung ist nicht begründet.
Zu Recht hat das Arbeitsgericht Schwerin festgestellt, daß auf Grund des Umstandes, daß der Kläger nicht Mitglied der ÖTV ist, keine beiderseitige Tarifbindung vorliegt und in dem Abschluß eines mündlichen Arbeitsvertrages auch keine stillschweigende Vereinbarung der Geltung des einschlägigen Manteltarifvertrages liege.
Danach hat das Arbeitsgericht Schwerin zu Recht die Auffassung vertreten, daß der Manteltarifvertrag im vorliegenden Fall auch nicht über die Grundsätze der betrieblichen Übung a...