Entscheidungsstichwort (Thema)
Auslegung arbeitsvertraglicher Bezugnahmeklauseln. Gleichstellungsabrede
Leitsatz (redaktionell)
Das Bundesarbeitsgericht vertritt die Auffassung, eine arbeitsvertragliche Bezugnahmeklausel auf Tarifverträge sei grundsätzlich als Gleichstellungsabrede auszulegen. Dieser Rechtsprechung folgt die Berufungskammer nicht.
Normenkette
BGB §§ 133, 157
Verfahrensgang
ArbG Stralsund (Aktenzeichen 4 Ca 418/01) |
Nachgehend
Tenor
I. Die Berufung der Beklagten wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
II. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger ist bei der Beklagten seit 1997 als Krankenpfleger beschäftigt. Die Beklagte war bis 31.12.1999 Mitglied im Kommunalen Arbeitgeberverband, der Kläger ist Mitglied der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft.
In einem Arbeitsvertrag vom 16.7.97 heißt es unter § 2:
”Das Arbeitsverhältnis bestimmt sich nach dem BAT-O und den diesen ergänzenden, ändernden oder ersetzenden Tarifverträgen sowie nach den für Angestellte des Arbeitgebers dem Gebiet nach Artikel §des Einigungsvertrages jeweils geltenden sonstigen Regelungen. Der Angestellte erhält die Vergütungsgruppe Kr IV/Fg. 1.”
Die Beklagte war ursprünglich Mitglied des Arbeitgeberverbandes. Sie ist mit Ablauf des 31.12.1999 aus diesem Verband ausgeschieden. Der Kläger macht Gehaltsdifferenzen in unstreitiger Höhe für den Zeitraum November 2000 bis August 2001 geltend, die sich nach dem 1.1.2000 abgeschlossenen Vergütungstarifvertrag Nr. 6 zum BAT-O ergeben. Die Höhe der Vergütungsansprüche und die schriftliche Geltendmachung innerhalb der Ausschlussfrist des § 70 BAT-O ist zwischen den Parteien unstreitig.
Auf eine entsprechende Klage hin hat das Arbeitsgericht Stralsund durch Urteil vom 18.12.2001 – 4 Ca 418/01 – für Recht erkannt:
- Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger DM 859,02 nebst 5 Prozent Zinsen über dem Basisdiskontzinssatz seit 30.4.2001 zu zahlen.
- Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger DM 162,52 nebst 5 Prozent Zinsen über dem Basisdiskontzinssatz seit 31.5.2001 zu zahlen.
- Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger DM 175,12 nebst 5 Prozent Zinsen über dem Basisdiskontzinssatz seit 30.6.2001 zu zahlen.
- Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger DM 172,68 nebst 5 Prozent Zinsen über dem Basisdiskontzinssatz seit 31.7.2001 zu zahlen.
- Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger DM 167,02 nebst 5 Prozent Zinsen über dem Basisdiskontzinssatz seit 31.8.2001 zu zahlen.
- Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
- Der Streitwert wird auf 1.537,00 DM festgesetzt.
In den Entscheidungsgründen hat es ausgeführt, auch nach dem Austritt der Beklagten aus dem Kommunalen Arbeitgeberverband finden die jeweiligen Vergütungstarifverträge auf Grund der Bezugnahme in § 2 des Arbeitsvertrages auf das Arbeitsverhältnis Anwendung. Eine zeitliche Begrenzung der Bezugnahme sei aus dem Wortlaut der arbeitsvertraglichen Vereinbarung nicht zu entnehmen. Derartige Gleichstellungsabreden beinhalteten auch nicht automatisch eine zeitliche Beschränkung auf die Dauer der Verbandszugehörigkeit des Arbeitnehmers.
Dieses Urteil ist der Beklagten am 27.12.2001 zugestellt worden. Sie hat dagegen Berufung eingelegt, die am 28.1.2002 beim Landesarbeitsgericht eingegangen ist. Die Berufungsbegründung ist am 26.2.2002 beim Landesarbeitsgericht eingegangen.
Die Beklagte ist der Auffassung, die hier verwendete arbeitsvertragliche Bezugnahmeklausel beinhaltet lediglich eine Gleichstellungsabrede und habe keine konstitutive Bedeutung.
Die Beklagte beantragt,
die Klage unter Abänderung der angefochtenen Entscheidung abzuweisen und dem Kläger die Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er tritt der erstinstanzlichen Entscheidung bei.
Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die vorbereitenden Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Das Arbeitsgericht Stralsund hat mit zutreffender Begründung der Klage stattgegeben.
Eine tarifrechtliche Geltung des Vergütungstarifvertrages Nr. 6 vom 30.6.2000 für das Arbeitsverhältnis der Parteien kommt nicht in Betracht. Eine beiderseitige Tarifgebundenheit, die gemäß § 3 Abs. 1 bzw. § 4 Abs. 1 TVG Voraussetzung wäre, liegt nicht vor. Auch auf eine Nachbindung kann der Kläger sich nicht berufen. Die Fortdauer der Tarifgebundenheit gemäß § 3 Abs. 3 TVG nach dem Verbandsaustritt erfasst nur die zu diesem Zeitpunkt geltenden Tarifverträge, nicht aber die später zustande gekommenen Tarifvereinbarungen, die erst nach dem 31.12.1999 abgeschlossen worden sind.
Die Anwendbarkeit der Tarifvereinbarung vom 30.6.2000 ergibt sich aber aus der Regelung des Abänderungsantrages vom 7.9.1995. Gemäß dem § 133, 157 BGB sind Verträge so auszulegen, wie es Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte erfordern, wobei der wirkliche Wille der Erklärenden zu erforschen und nicht am buchstäblichen Sinn des Ausdrucks zu haften ist. Bei...