Entscheidungsstichwort (Thema)
Vergütung von Rufbereitschaft, Überstunden und nicht gewährten Ruhe- und Bildschirmarbeitspausen bei Wechselschichtarbeit im Anwendungsbereich des TVöD
Leitsatz (amtlich)
1. Ein Arbeitnehmer, der im Bereich des Tarifvertrages für den öffentlichen Dienst (TVöD) in Wechselschicht arbeitet und bei dem die gesamte Schichtdauer als Arbeitszeit vergütet wird, kann keine zusätzliche Vergütung mit dem Argument verlangen, in die Schichten hätte man nach § 6 Absatz 1 Satz 2 TVöD zu bezahlende Erholungspausen im Sinne von § 4 ArbZG einplanen müssen.
2. Werden einem Arbeitnehmer an einem Bildschirmarbeitsplatz keine Erholungsphasen im Sinne von § 5 Bildschirmarbeitsverordnung gewährt, so folgt daraus nicht, dass er Anspruch auf Vergütung im Umfang der nicht gewährten Bildschirmarbeitspausen hat.
3. Die Entschädigung für die Teilnahme an der Rufbereitschaft nach § 8 Absatz 3 TVöD kann nur dann im Wege der Zeitgutschrift in ein Stundenkonto übernommen werden, wenn der Arbeitnehmer damit einverstanden ist. Liegt das Einverständnis nicht vor, ist die Entschädigung auszuzahlen (§ 8 Absatz 3 Satz 6 iVm § 8 Absatz 1 Satz 4 TVöD).
4. Das Vorliegen von Überstunden im Sinne von § 7 Absatz 8 Buchstabe c) TVöD muss in zwei Stufen geprüft werden. Zunächst ist zu ermitteln, ob die Chance auf eine Überstunde dadurch entstanden ist, dass ein Arbeitnehmer über die Festlegungen im Schichtplan hinaus Arbeitsleistungen erbracht hat. Sodann ist zu prüfen, ob diese Überstundenchance durch Ausgleich innerhalb des Schichtplanturnus wieder untergegangen ist. Da der Tarifvertrag insoweit auf die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit abstellt, kann ein Ausgleich auch ohne ausdrückliche Freistellung von einer geplanten Schicht im Schichtturnus indirekt dadurch erfolgen, dass im Schichtplan die geschuldete regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit nicht vollständig verplant ist.
5. Der Schichtplanturnus im Sinne von § 7 Absatz 8 Buchst. c) TVöD umfasst den Zeitraum innerhalb dessen die teilnehmenden Arbeitnehmer nach Plan die verschiedenen Schichttypen durchlaufen. Sobald sich der Rhythmus, in dem die Schichttypen zu durchaufen sind, im Plan wiederholt, hat ein neuer Turnus begonnen. Wird in der Dienststelle im Wechsel 2 Tage in der Frühsicht, 2 Tage in der Spätschicht und 2 Tage in der Nachtschicht gearbeitet und schließen sich daran 6 freie Tage an, umfasst der Schichtplanturnus je 12 Kalendertage.
Normenkette
ArbZG § 4; TVöD § 6 Abs. 1 S. 2, § 8 Abs. 3, § 7 Abs. 8, § 37; BildscharbV § 5
Verfahrensgang
ArbG Stralsund (Urteil vom 06.07.2010; Aktenzeichen 1 Ca 404/09) |
Nachgehend
Tenor
1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Stralsund vom 6. Juli 2010 (1 Ca 404/09) in der Hauptsache wie folgt teilweise abgeändert:
- Auf den Klageantrag zu 1. a) wird die Beklagte verurteilt, an den Kläger 599,76 Euro brutto zuzüglich Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 1. Januar 2010 als Überstundenvergütung für das Jahr 2009 zu zahlen;
- Auf den Klageantrag zu 1. b) wird die Beklagte verurteilt, an den Kläger 55,59 Euro brutto zuzüglich Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 1. Januar 2010 als weitere Vergütung für Rufbereitschaft 2009 zu zahlen.
2. Im Übrigen wird die Berufung des Klägers zurückgewiesen.
3. Die Kosten des Rechtsstreits trägt in weiterer Abänderung des arbeitsgerichtlichen Urteils die Beklagte in Höhe von fünf Prozent und im Übrigen der Kläger.
4. Die Revision wird für beide Parteien beschränkt auf den durch den Klageantrag zu 1. a) bezeichneten Streitgegenstand zugelassen. Im Übrigen wird die Revision nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger verlangt Zahlung von Arbeitslohn für Überstunden, für Rufbereitschaftszeiten und für nicht gewährte Ruhe- und Bildschirmarbeitspausen aus den Jahren 2006 und 2009.
Der Kläger ist Diplom-Ingenieur und er steht seit vielen Jahren als vollbeschäftigter Arbeitnehmer in einem Arbeitsverhältnis zu der beklagten B.. Seit Oktober 2000 ist er als nautischer Assistent in der Verkehrszentrale W. eingesetzt. Die Verkehrszentrale W. gehört zum Wasserstraßen- und Schifffahrtsamt S., das seinerseits zur Wasser- und Schifffahrtsdirektion N. mit Sitz in K gehört. Diese ihrerseits gehört zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau- und Stadtentwicklung. Zuvor war der Kläger in vergleichbarer Stellung in C tätig.
Im Arbeitsvertrag der Parteien werden die Tarifverträge des öffentlichen Dienstes in Bezug genommen. § 2 des Arbeitsvertrages der Parteien lautet insoweit wörtlich (Kopie als Anlage K 1 überreicht, hier Blatt 7 f, es wird Bezug genommen):
„Das Arbeitsverhältnis bestimmt sich nach dem Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT) und den diesen ergänzenden, ändernden oder ersetzenden Tarifverträgen in der für den Bereich des Bundes jeweils geltenden Fassung. Außerdem finden die im Bereich des Arbeitgebers jeweils geltenden sonstigen eins...