Entscheidungsstichwort (Thema)
Fristlose Kündigung aus wichtigem Grund. Zumutbarkeitsprüfung der Weiterbeschäftigung unter Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalles. Bewusst falsche Erfassung der Arbeitszeit als auch Vortäuschung einer Arbeitsunfähigkeit als wichtige Gründe
Leitsatz (amtlich)
Eine schwerwiegende Verletzung der Pflicht zur korrekten Erfassung der Arbeitszeit und die Vortäuschung einer Arbeitsunfähigkeit können die außerordentliche Kündigung eines annähernd 40 Jahre bestehenden, bisher unbelasteten Arbeitsverhältnisses rechtfertigen. Im Rahmen der Interessenabwägung ist es von Bedeutung, wenn der Arbeitnehmer das Arbeitsverhältnis eines Kollegen gefährdet hat, indem er diesen dazu verleitet hat, für ihn die Arbeitszeit in der Stempeluhr falsch zu erfassen.
Normenkette
BGB § 626 Abs. 1; KSchG § 15 Abs. 1; BetrVG § 103
Verfahrensgang
ArbG Schwerin (Entscheidung vom 15.11.2018; Aktenzeichen 2 Ca 975/18) |
Tenor
1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Schwerin vom 15.11.2018 - 2 Ca 975/18 - abgeändert. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung.
Der im Dezember 1961 geborene, verheiratete Kläger war bei der Beklagten auf der Grundlage des zum 01.09.1978 mit einer Rechtsvorgängerin begründeten Arbeitsverhältnisses zuletzt als Zerspanungsmechaniker mit einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden im Drei-Schicht-Betrieb bei einem monatlichen Gehalt von € 2.567,02 brutto tätig. Die Beklagte entwickelt und produziert verschiedene Hydraulikelemente. Sie beschäftigt regelmäßig mehr als 10 Vollzeitkräfte ausschließlich der Auszubildenden. Im Mai 2017 wurde der Kläger in den bei der Beklagten gebildeten Betriebsrat gewählt.
Der Kläger war in der Woche vom 04.06. bis 08.06.2018 in der Spätschicht eingeteilt, die um 14:00 Uhr begann und um 22:00 Uhr endete. Laut der Betriebsvereinbarung vom 20.06.2017 ist in der Spätschicht zwischen 18:30 und 19:30 Uhr eine Pause von 30 Minuten zu nehmen. Wegen des guten Auftragsvolumens und aufgelaufener Rückstände durch Krankheiten und Maschinenausfälle hatte die Beklagte mit Zustimmung des Betriebsrats im Zeitraum 21.04. bis 30.06.2018 verpflichtende Samstagsarbeit eingeführt.
Am Donnerstag, 07.06.2018, buchte der Kläger im Zeiterfassungssystem (ZMI) einen Arbeitsbeginn um 13:46 Uhr. Die Arbeitszeit wird mit dem Mitarbeiterausweis erfasst. Die Schicht endete um 22:00 Uhr. Gegen 19:40 Uhr traf die Personalleiterin der Beklagten, Frau W., den Kläger im "Haus der Jugend" in A-Stadt an, als er Kuchen, Bowle und verschiedene Gefäße dort hineintrug. Die Fahrzeit vom Betriebsgelände zum "Haus der Jugend" beträgt etwa 7 - 8 Minuten mit dem PKW. Frau W. grüßte den Kläger und begab sich zu ihrer Sportveranstaltung. Die Arbeitszeiten des Klägers waren ihr zu diesem Zeitpunkt nicht bekannt. Um 20:05 Uhr checkte ein anderer Mitarbeiter den Kläger mit dessen Mitarbeiterausweis im Zeiterfassungssystem aus.
Am darauffolgenden Tag, dem 08.06.2018, meldete sich der Kläger gegen 11:00 Uhr beim Fertigungsbereichsleiter für die um 14:00 Uhr beginnende Spätschicht telefonisch arbeitsunfähig. Am Abend desselben Tages wurde der Kläger gegen 21:45 Uhr in Festkleidung am "Haus der Jugend" in A-Stadt gesehen. Arbeitsunfähig war der Kläger an diesem Tag nicht.
Am Montag, 11.06.2018, nahm der Kläger die Arbeit zur Frühschicht um 06:00 Uhr wieder auf. Gegen 11:45 Uhr hörte die Beklagte den Kläger im Beisein des Betriebsratsvorsitzenden zu den Vorwürfen des Arbeitszeitbetrugs und der Vortäuschung einer Arbeitsunfähigkeit an. Der Kläger verwies darauf, sich wegen der angespannten Personalsituation nicht getraut zu haben, für den 85. Geburtstag seines Vaters kurzfristig einen Urlaubstag zu beantragen. Er räumte ein, das Betriebsgebäude am 07.06.2018 um 19:00 Uhr verlassen zu haben.
Mit Schreiben vom 14.06.2018, dem Betriebsratsvorsitzenden zugegangen am 18.06.2018, beantragte die Beklagte die Zustimmung des Betriebsrats zur außerordentlichen Kündigung des Klägers. Das Schreiben enthält zum einen die maßgeblichen Sozialdaten des Klägers, also Name, Familienstand, Geburtsdatum, Betriebszugehörigkeit, Tätigkeit, Eingruppierung. Zum anderen teilte die Beklagte den für die Kündigung maßgeblichen Sachverhalt einschließlich der Anhörung des Klägers im Einzelnen mit. Der Betriebsrat stimmte der beabsichtigten Kündigung am 19.06.2018 schriftlich zu.
Mit Schreiben vom 21.06.2018, dem Kläger zugegangen am selben Tag, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit ihm außerordentlich. Hiergegen hat der Kläger mit Schriftsatz vom 09.07.2018, beim Arbeitsgericht eingegangen am 10.07.2018, fristgerecht Kündigungsschutzklage erhoben.
Nach Ausspruch der außerordentlichen Kündigung war der Kläger zunächst arbeitsunfähig. Zum 01.08.2018 nahm er eine neue Beschäftigung auf.
Der Kläger hat erstinstanzlich die Ansicht vert...