Entscheidungsstichwort (Thema)
Voraussetzungen der Anfechtung einer Betriebsratswahl. Geeignete Maßnahmen zur Beachtung des Wahlgeheimnisses. Ausreichende Sprachkenntnisse der ausländischen Arbeitnehmer bei der Betriebsratswahl. Kein Wahlanfechtungsgrund bei Briefwahl ohne Verhinderung an der persönlichen Stimmabgabe
Leitsatz (redaktionell)
1. Eine Betriebsratswahl kann angefochten werden, wenn gegen wesentliche Wahlvorschriften über das Wahlrecht, die Wählbarkeit oder das Wahlverfahren verstoßen worden ist. Wesentliche Wahlvorschriften umfassen die elementaren Grundprinzipien der Wahl und die tragenden Grundsätze des Betriebsverfassungsrechts. Durch den Verstoß muss das Wahlergebnis objektiv geändert oder zumindest beeinflusst worden sein.
2. Für die Beachtung der geheimen Wahl reicht es aus, wenn anstelle von Wahlkabinen eine Moderationswand als Sichtschutz vor dem Wahltisch aufgestellt ist. Damit ist die unbeobachtete Stimmabgabe bei der Wahl ausreichend gesichert.
3. Ausländische Arbeitnehmer, die die deutsche Sprache nicht ausreichend beherrschen, müssen über das Wahlverfahren und den Wahlvorgang in geeigneter Weise unterrichtet werden. Ausländische Arbeitnehmer, die die für die Ausübung eines qualifizierten Ausbildungsberufs erforderliche Kommunikation in deutscher Sprache führen, haben in der Regel ausreichende Sprachkenntnisse, um die Formalien und Regelungen der Betriebsratswahl zu verstehen.
4. Geben Arbeitnehmer ihre Stimme zur Betriebsratswahl im Wege der Briefwahl ab, obwohl sie am Tag der Wahl nicht an der persönlichen Stimmabgabe verhindert sind, ist dies kein gravierender Verstoß gegen die elementaren Wahlgrundsätze. Auch wird dadurch das Ergebnis der Wahl nicht verfälscht oder beeinflusst.
Normenkette
BetrVG § 19 Abs. 1; WO § 2 Abs. 3, 5, §§ 7-8, 12 Abs. 1, § 24; BetrVG § 19 Abs. 2
Verfahrensgang
ArbG München (Entscheidung vom 01.08.2018; Aktenzeichen 24 BV 9/18) |
Tenor
1. Auf die Beschwerde der Beteiligten zu 6. vom 07.09.2018 und die Beschwerde der Beteiligten zu 7. vom 31.08.2018 wird der Beschluss des Arbeitsgerichts München vom 01.08.2018, Az. 24 BV 9/18, abgeändert.
2. Der Antrag der Beteiligten zu 1. bis 5. wird abgewiesen.
3. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe
Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit einer Betriebsratswahl, die von den Beteiligten zu 1) bis 5) angefochten wurde.
Die Beteiligte zu 7) (im Folgenden: die Arbeitgeberin) stellt Betonkörper her und unterhält bundesweit vier Betriebe, nämlich in M-Stadt, O-Stadt, P-Stadt und K-Stadt.
Im Betrieb in K-Stadt fand am 04.04.2018 eine Betriebsratswahl statt.
Der Beteiligte zu 6) (im Folgenden: der Betriebsrat) ist der am 04.04.2018 gewählte 7-köpfige Betriebsrat.
Die Beteiligten zu 1) bis 5) sind jeweils wahlberechtigte Arbeitnehmer des Betriebs in K-Stadt. Der Beteiligte zu 1) ist außerdem Mitglied des aktuellen Betriebsrats; er war auch Mitglied des Wahlvorstandes und in der vorherigen Amtsperiode Betriebsratsvorsitzender.
Die Beteiligten zu 1) bis 5) kandidierten bei der streitgegenständlichen Wahl auf einer Liste, die nicht die Mehrheit der Stimmen erhielt.
Gemäß Wählerliste vom 04.04.2018 (vgl. Anlage B 6/4, Bl. 166 ff. d. A.) waren 152 Arbeitnehmer zur Wahl des Betriebsrates wahlberechtigt. Ausweislich der Wahlniederschrift (vgl. Anlage B 6/5, Bl. 168 d.A.) lagen 133 Wahlumschläge vor, wobei 128 gültige Stimmen abgegeben wurden.
Das Wahlausschreiben vom 20.02.2018 (vgl. Anlage B 1, Bl. 25 f. d.A.) für die Betriebsratswahl war nur in deutscher Sprache bekannt gemacht worden. Eine gesonderte Information der ausländischen Arbeitnehmer über die Einzelheiten der Wahl hat nicht stattgefunden.
Dem Betriebsrat wurde mit E-Mail vom 26.03.2018, 10:35 Uhr (vgl. Bl. 192 d.A.) seitens der Personalreferentin der Arbeitgeberin mitgeteilt, dass der Mitarbeiter Z. seine Tätigkeit in M-Stadt ab dem 15.04.2018 aufnehmen werde. Kurz zuvor war dem Betriebsrat mit E-Mail vom selben Tag um 10:21 Uhr (vgl. Bl. 192 d.A.) mitgeteilt worden, dass der Mitarbeiter ab 01.04.2018 in M-Stadt tätig sein werde.
Der Wahlraum befand sich im Erdgeschoss (vgl. die vorliegenden Fotos, Bl. 144 ff. d.A. sowie in Anlagenkonvolut B 6/1, Bl. 160 ff. d.A. und B 6/6, Bl. 317 ff. d.A.). Hinter dem Tisch, an dem die Stimmabgabe erfolgte, befindet sich ein Fenster. Seitlich vom Tisch befindet sich ein weiteres Fenster; vor dem seitlichen Fenster stand eine blaue Stehwand. Vor dem Tisch war eine Moderationswand als Sichtschutz aufgestellt; auf dem Tisch befand sich ein nach drei Seiten und nach oben geschlossenes Rednerpult. Auf der Innenseite des Rednerpults war ein Stift mit einer Schnur befestigt. Bei der Stimmabgabe saßen die Mitarbeiter mit dem Rücken zum Fenster. Der Stimmzettel konnte unter bzw. unmittelbar vor bzw. auf dem Rednerpult ausgefüllt werden.
Im Erdgeschoss des Gebäudes befinden sich Jalousien an den Fenstern, die manuell heruntergelassen werden können. Sie kippen in der oberen Hälfte des jeweiligen Fensters im 45°Winkel nach außen ab und werden unten ...