Entscheidungsstichwort (Thema)
Rückwirkende Wirksamkeit einer schwebend unwirksamen Betriebsvereinbarung aufgrund tarifvertraglicher Öffnungsklausel. Unbegründeter Feststellungsantrag des Betriebsrats bei fehlender Öffnungsklausel zur Regelung der betrieblich vereinbarten Urlaubsbestimmungen
Leitsatz (amtlich)
1. Eine gegen § 77 Abs. 3 BetrVG verstoßende Betriebsvereinbarung ist schwebend unwirksam. Dieser Schwebezustand kann nach der Rechtsprechung des BAG durch übereinstimmende Regelung der Tarifvertragsparteien auch rückwirkend durch eine Öffnungsklausel beseitigt werden mit der Folge, dass die kollidierende Betriebsvereinbarung rückwirkend Wirksamkeit erlangt.
2. Die Regelungssperre des § 77 Abs. 3 BetrVG wird aber nicht dadurch rückwirkend beseitig, dass ein einer Betriebsvereinbarung entgegenstehender Tarifvertrag gekündigt wurde und sich seine Wirkung damit "nur noch" aus § 4 Abs. 5 TVG ergibt. Das gilt auch, wenn sämtliche Tarifvertragsparteien den Tarifvertrag gekündigt haben.
3. Die Regelungssperre des § 77 Abs. 3 BetrVG wird auch nicht dadurch rückwirkend beseitigt, dass eine Tarifvertragspartei seine Tariffähigkeit einbüßt.
4. Die vorstehend genannten Fälle führen daher nicht dazu, dass eine mit einem Tarifvertrag kollidierende Betriebsvereinbarung ohne Zustimmung der Tarifvertragsparteien wirksam wird.
Normenkette
BetrVG § 77 Abs. 3, 3 S. 1, § 87 Abs. 1; TVG § 4 Abs. 5; ZPO § 256 Abs. 1; ETV § 5
Verfahrensgang
ArbG München (Entscheidung vom 26.04.2016; Aktenzeichen 13 BV 395/15) |
Nachgehend
Tenor
1. Die Beschwerde des Beteiligten zu 1 gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts München vom 26.04.2016, 13 BV 395/15, wird zurückgewiesen.
2. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe
A.
Die Beteiligten streiten über die Rechtswirksamkeit einer Betriebsvereinbarung aus dem Jahr 2006.
Der Beteiligte zu 1 ist als Betriebsrat zuständig für den gemeinsamen Betrieb, den die Beteiligte zu 2 mit der E., der F. und der G. seit dem Jahr 2001 führt. Die Beteiligte zu 2 war und ist nicht Mitglied eines tarifvertragsschließenden Arbeitgeberverbandes und nicht tarifgebunden.
Die C. schloss mit dem Betriebsrat unter dem 28.03.2006 eine "Betriebsvereinbarung Urlaub und Freistellung von der Arbeit", die auszugsweise wie folgt lautet:
"2. Geltungsbereich
Diese Betriebsvereinbarung gilt für alle Arbeitnehmerinnen des Unternehmens.
3. Urlaubsbestimmungen
3.1. Der Arbeitnehmer hat jährlich einen unabdingbaren Anspruch auf bezahlten Urlaub. Der Urlaub dient der Erholung. Krankheitstage sowie Freistellungen aus beruflichen und persönlichen Gründen und zur beruflichen Fortbildung dürfen auf den Urlaub nicht angerechnet werden.
3.2. Urlaubsjahr ist das Kalenderjahr. Für die Urlaubsberechnung wird die 5-Tage-Woche zugrunde gelegt. Feiertage, die auf die Tage Montag bis Freitag fallen, zählen nicht als Urlaubstage.
3.3. Der volle Urlaubsanspruch wird erstmals nach sechsmonatigem Bestehen des Arbeitsverhältnisses erworben (Wartezeit), bei Jugendlichen bis zum 18. Lebensjahr nach drei Monaten.
3.4. Anspruch auf ein Zwölftel des Jahresurlaubs für jeden vollen Monat des Bestehens des Arbeitsverhältnisses hat der Arbeitnehmer
a) für Zeiten eines Kalenderjahres, für die er wegen Nichterfüllung der Wartezeit in diesem Kalenderjahr keinen vollen Urlaubsanspruch erwirbt;
b) wenn er vor erfüllter Wartezeit aus dem Arbeitsverhältnis ausscheidet;
c) wenn er nach erfüllter Wartezeit in der ersten Hälfte eines Kalenderjahres aus dem Arbeitsverhältnis ausscheidet.
Bruchteile von Urlaubstagen, die mindestens einen halben Tag ergeben, sind auf volle Urlaubstage aufzurunden. Hat der Arbeitnehmer im Falle des Absatzes c) bereits Urlaub über den ihm zustehenden Umfang hinaus erhalten, so kann das dafür gezahltes Urlaubsentgelt nicht zurückgefordert werden.
Der Anspruch auf Urlaub besteht nicht, soweit dem Arbeitnehmer für das laufende Kalenderjahr bereits von einem früheren Arbeitgeber Urlaub gewährt worden ist. Der Arbeitgeber ist verpflichtet, bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses dem Arbeitnehmer eine Bescheinigung über den im laufenden Kalenderjahr gewährten oder abgegoltenen Urlaub auszuhändigen.
3.5. Bei Ableistung des Grundwehrdienstes, Zivildienstes oder Entwicklungsdienstes sind die besonderen Bestimmungen des Arbeitsplatzschutzgesetzes über Urlaubsgewährung zu beachten. Der Arbeitgeber kann den Jahresurlaub für jeden vollen Kalendermonat, den der Arbeitnehmer Grundwehrdienst, Zivildienst oder Entwicklungsdienst leistet, um ein Zwölftel kürzen. Dem Arbeitnehmer ist der ihm zustehende Urlaub auf Verlangen vor Beginn des Grundwehrdienstes, Zivildienstes oder Entwicklungsdienstes zu gewähren.
3.6. Wird dem Arbeitnehmer von einem Träger der Sozialversicherung oder einer Verwaltungsbehörde der Kriegsopferversorgung ein Kur- oder Heilverfahren gewährt, so darf die hierfür verwendete Zeit einschließlich der ärztlich angeordneten Schonzeit auf den Urlaub nicht angerechnet werden. Dies gilt nicht für Kuren gem....