Entscheidungsstichwort (Thema)
Rechtsschutzinteresse für die Bildung einer Einigungsstelle. Gerichtliche Bestellung eines Einigungsstellenvorsitzenden
Leitsatz (amtlich)
Das Gericht ist nicht gehalten, bei der Bestellung des Einigungsstellenvorsitzenden nach § 100 ArbGG diejenige Person auszuwählen, die der Antragsteller benannt hat. Es kann auch ohne nachvollziehbare, stichhaltige oder ernsthafte Einwendungen gegen diese Person bei einem "schlichten Nein" des weiteren Beteiligten eine andere geeignete Person als Vorsitzenden einsetzen. Die gegensätzige Rechtsprechung (LAG München, Beschluss vom 25.03.2021 - 3 TaBV 3/21) wird aufgegeben.
Leitsatz (redaktionell)
Für die Bildung einer Einigungsstelle fehlt grundsätzlich das Rechtsschutzinteresse, wenn die Betriebsparteien in einer beteiligungspflichtigen Angelegenheit nicht den nach § 74 Abs. 1 Satz 2 BetrVG vorgesehenen Versuch einer gütlichen Einigung unternommen, sondern sofort die Einigungsstelle angerufen haben. Ein Rechtsschutzinteresse besteht deshalb nur, wenn der Antragsteller geltend macht, dass entweder die Gegenseite Verhandlungen über das Regelungsverlangen ausdrücklich oder konkludent verweigert hat oder mit Verständigungswillen geführte Verhandlungen gescheitert sind.
Normenkette
ArbGG § 100; BetrVG § 74 Abs. 1 S. 2, § 76 Abs. 1 S. 1, Abs. 2, § 87 Abs. 1 Nr. 2
Verfahrensgang
ArbG München (Entscheidung vom 13.09.2021; Aktenzeichen 31 BV 210/21) |
Tenor
I. Auf die Beschwerde der Beteiligten zu 2. wird der Beschluss des Arbeitsgerichts München vom 13.09.2021 - 31 BV 210/21 - teilweise zur Person des Einigungsstellenvorsitzenden abgeändert und Herr Vorsitzender Richter am Landesarbeitsgericht S zum Vorsitzenden der durch das Arbeitsgericht eingesetzten Einigungsstelle bestellt.
II. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten zuletzt noch über die Einsetzung einer Einigungsstelle zur Arbeitszeit und die Person des Einigungsstellenvorsitzenden.
Der Beteiligte zu 1 (im Folgenden: Betriebsrat) ist der bei der Beteiligten zu 2 (im Folgenden: Arbeitgeberin) gebildete Betriebsrat. Die Arbeitgeberin unterhält bundesweit mehrere Niederlassungen, wobei die Geschäfts- und Personalleitungen ihren Sitz in C-Stadt bei DStadt haben. Das Büro des Betriebsrats befindet sich in A-Stadt.
Der Betriebsrat kündigte die "BV-Arbeitszeitinnendienst und Vertrieb" vom 17.07.2009 mit Schreiben vom 11.02.2021 zum 30.06.2021. Mit Schreiben vom 15.03.2021 formulierte er seine Forderungen für den Abschluss einer neuen diesbezüglichen Betriebsvereinbarung und forderte die Arbeitgeberin auf, bis zum 29.03.2021 schriftlich Stellung zu nehmen. Sollten die Verhandlungen scheitern, würde der Betriebsrat die Einigungsstelle anrufen (vgl. Anl. K 8 = Bl. 22 f. d. A.). Mit E-Mail vom 29.03.2021 kündigte die Arbeitgeberin ihrerseits einen Entwurf für eine betriebliche Neuregelung der Arbeitszeit bis zum 16.04.2021 an (vgl. Anl. K 9 = Bl. 24 d. A.). In dieser E-Mail hieß es weiter:
"... wir schlagen vor, dass Sie diesen Entwurf sodann prüfen, mit Ihren Vorstellungen abgleichen und wir uns im Anschluss zu entsprechenden Verhandlungsterminen verabreden, in deren Rahmen wir sicher auch auf die von Ihnen genannten Forderungen näher zu sprechen kommen werden."
Mit E-Mail vom 16.04.2021 übersandte die Arbeitgeberin ihren Entwurf für eine Neuregelung der Arbeitszeit und erklärte hierin (vgl. Anl. AG2 = Bl. 55 d. A.):
"Wir haben die Regelungen zum einen den aktuellen Bedürfnissen der Z angepasst und zum anderen das Anliegen aufgegriffen, die Arbeitszeiten der Mitarbeiter besser in Griff zu haben und so Mehrarbeit zu vermeiden.
Bitte prüfen Sie den Entwurf und lassen Sie uns im Anschluss Verhandlungstermine vereinbaren."
Mit E-Mail vom 10.05.2021 übersandte der Betriebsrat der Arbeitgeberin seinen finalen Vorschlag zur Betriebsvereinbarung Arbeitszeitinnendienst und Vertrieb mit der Bitte um Zustimmung bis 19.05.2021. Sollte diese nicht oder nur in unwesentlichen Punkten erteilt werden, werde der Betriebsrat die Einigung als gescheitert erklären und die Einigungsstelle anrufen (Anl. K 11 = Bl. 27 d. A.). Mit E-Mail vom 28.05.2021 erklärte die Arbeitgeberin, dass sie die beiden Betriebsvereinbarungsentwürfe gegenübergestellt habe, dabei seien Fragen aufgekommen, wobei sie sich vorstellen könne, dass dies den Betriebsrat ähnlich ergangen sei (vgl. Anl. AG3 = Bl. 56 d. A.). Weiter hieß es in dieser E-Mail:
"Aus diesem Grund sollten wir im ersten Schritt ein gemeinsames Verständnis unserer Positionen erhalten, um im Anschluss Lösungsvorschläge erörtern zu können.
Als Termin kann ich Ihnen den 1. Juni, 13:00 Uhr bis 14:00 Uhr und/oder 11. Juni im Rahmen des Monatsgesprächs anbieten. ..."
Mit Schreiben vom 02.06.2021 stellt der Betriebsrat das Scheitern der Verhandlungen fest, es solle nunmehr eine Einigungsstelle unter Vorsitz von Prof. Dr. Y, mit je drei Beisitzern pro Seite angerufen werden.
Der Betriebsrat hat erstinstanzlich die Auffassung vertreten, dass die Verhandlungen gescheite...