Entscheidungsstichwort (Thema)
Neufassung der Anmerkung I zu Nr. 1003 Abs. 1 VV-RVG ab 1. Januar 2021. 1,5 Einigungsgebühr für einen Vergleich im Rahmen der PHK mit Beiordnung eines Anwalts
Leitsatz (redaktionell)
1. Mit der Neufassung der Anmerkung I zu Nr. 1003 Abs. 1 VV-RVG führt die Erstreckung der Prozess- und Verfahrenskostenhilfe auf den Mehrwert eines Vergleichs nicht zu einer Ermäßigung der Einigungsgebühr.
2. Wenn die Bewilligung der Prozesskostenhilfe und die Beiordnung das gesamte Verfahren einschließlich Vergleichsschluss betreffen und nicht nur den Vergleichsschluss, liegt jedenfalls auch eine Beiordnung des Prozessbevollmächtigten zum Abschluss eines Vertrages nach Nr. 1000 VV-RVG vor. Die Honorierung der anwaltlichen Bemühungen, möglichst eine vergleichsweise Regelung herbeizuführen, führt bei Vergleichsabschluss auch bei Mitwirkung des Gerichts zu einer erheblichen Arbeitsersparnis und damit zur Rechtfertigung der 1,5 Einigungsgebühr.
Normenkette
ZPO § 321 Abs. 2; RVG § 48 Abs. 1; RVG-VV Nr. 1000 Abs. 1, Nr. 1003 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG München (Entscheidung vom 01.12.2022; Aktenzeichen 11 Ca 260/22) |
Tenor
Die Beschwerde der Prozessbevollmächtigten der Klagepartei vom 13.12.2022 gegen den Beschluss des Arbeitsgerichtes München vom 01.12.2022, Az.: 11 Ca 260/22, wird zurückgewiesen.
Gründe
I.
Die Parteien stritten im Ausgangsverfahren über die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung.
Mit der Klage wurde die Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung des Beschwerdeführers beantragt.
Der Rechtsstreit wurde durch Beschluss vom 11.02.2022 gemäß § 278 Abs. 6 ZPO, nachdem die Parteien dem Gericht übereinstimmend einen Vergleichstext übersandt hatten, der auch weitere streitgegenständliche Ansprüche erfasste, beendet.
Mit Beschluss vom 14.02.2022 wurde der Streitwert für das Verfahren auf Euro 10.986 und für den Vergleich auf Euro 19.648 festgesetzt.
Mit Schriftsatz vom 14.02.2022 wurde beantragt, die bereits beantragte Prozesskostenhilfe auch auf den Vergleich und den Vergleichsmehrwert zu erstrecken.
Mit Beschluss vom 11.04.2022 wurde Prozesskostenhilfe unter Beiordnung des Beschwerdeführers bewilligt und dem Beschwerdeführer dieser Beschluss zugesandt, wobei eine Erstreckung der Bewilligung auf den Vergleichsmehrwert nicht erfolgte.
Der Beschwerdeführer hat daraufhin mit Schriftsatz vom 22.04.2022 die Festsetzung der Vergütung beantragt in Höhe eines Betrages von 1858,78 €. Darin eingeschlossen war eine 1,5 Einigungsgebühr, bezogen auf den Mehrvergleich.
Mit Beschluss vom 16.05.2022 hat das Arbeitsgericht die Prozesskostenhilfe auf den Vergleichsabschluss erstreckt.
Mit Beschluss vom 19.05.2022 hat das Arbeitsgericht die zu zahlende Vergütung auf Euro 1621,38 festgesetzt und dabei lediglich eine 1,0 Einigungsgebühr angesetzt. Hiergegen hat der Beschwerdeführer Erinnerung eingelegt mit Schriftsatz vom 18.07.2022. Die Erinnerung wurde mit Beschluss vom 01.12.2022 zurückgewiesen unter Hinweis auf eine bestehende Rechtsprechung der 6.Kammer des LAG München. Hiergegen hat der Beschwerdeführer Beschwerde eingelegt mit Schriftsatz vom 13.12.2022, insbesondere unter Berufung auf die Neufassung von § 48 Abs. 1 RVG i.V.m. Nr. 1003 VV RVG.
Der Beschwerde wurde nicht abgeholfen.
II.
Die statthafte Beschwerde ist unbegründet.
Die erkennende Kammer hält zwar an der bisherigen Ansicht des LAG München zur Höhe der Einigungsgebühr bezüglich des Mehrwerts eines Vergleichs nicht mehr fest.
a) Nach Nr. 1000 Abs. 1 VV-RVG entsteht grundsätzlich eine 1,5 Einigungsgebühr. Nach Nr. 1003 VV-RVG beträgt diese Gebühr allerdings nur 1,0, wenn über den Gegenstand ein anderes gerichtliches Verfahren als ein selbstständiges Beweisverfahren anhängig ist. Nach der Anmerkung in Abs. 1 S. 1 zu Nr. 1003 VV RVG gilt die niedrigere Gebühr auch, wenn ein Verfahren über die Prozeßkostenhilfe anhängig ist, allerdings nach dem 2. HS zur Nr. 1003 VV-RVG gilt dies jedoch dann nicht, wenn sich die Beiordnung auf den Abschluss eines Vertrags im Sinne der Nr. 1000 erstreckt (§ 48 Abs. 1 und 3 RVG).
b) Die nunmehr entscheidende Kammer schließt sich unter Aufgabe der von der 6. Kammer des LAG München bisher vertretenen Ansicht der Auffassung an, dass mit der zum 01.01.2021 in Kraft getretenen neuen Rechtslage die Rückausnahme in Anmerkung (1), S. 1, HS.2 zu Nr. 1003 bereits dann eingreift, wenn die Beiordnung sich auf den Abschluss eines Vertrags im Sinne der Nr. 1000 erstreckt, also der (Mehr-)Vergleich von der Entscheidung über die Prozesskostenhilfe ausdrücklich erfasst wird.. Auch wenn die Bewilligung der Prozesskostenhilfe und die Beiordnung das gesamte Verfahren einschließlich Vergleichsschluss betrifft und nicht nur den Vergleichsschluss, liegt jedenfalls auch eine Beiordnung des Prozessbevollmächtigten zum Abschluss eines Vertrages nach Nr. 1000 VV-RVG vor (ebenso LAG Nürnberg v. 26.07.2021 - 3 Ta 68/21; v. 29.12.2022 - 5 Ta 24/22; LAG Rheinland-Pfalz 08.01.2020 - 7 Ta 182/19; LAG Baden-Württemberg 27.04.2016 - 5...