Entscheidungsstichwort (Thema)
Betriebsratsanhörung. Empfangszuständigkeit eines einfachen Betriebsratsmitglieds für das Anhörungsschreiben
Leitsatz (amtlich)
Von einer Empfangsbotenstellung eines einfachen Betriebsratsmitgliedes ist dann auszugehen, wenn der Betriebsratsvorsitzende und sein Stellvertreter im Betrieb nicht anwesend sind.
Normenkette
BetrVG § 102 Abs. 1
Verfahrensgang
LAG München (Urteil vom 12.10.2005; Aktenzeichen 19a Ca 9859/04) |
Nachgehend
Tenor
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Endurteil des Arbeitsgerichtes München vom 12.10.2005 – 19a Ca 9859/04 – wird zurückgewiesen.
II. Auf die Berufung des Klägers wird das Endurteil des Arbeitsgerichtes München vom 12.10.2005 – 19a Ca 9859/04 – abgeändert und wie folgt neu gefasst:
- Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 2.6.2004 und durch die Kündigung vom 7.6.2004 nicht aufgelöst wurde.
- Der Auflösungsvertrag der Beklagten wird abgewiesen.
- Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens bei unveränderten Arbeitsbedingungen als Kraftfahrer für die Direktion und für den Betrieb oder in einer gleichwertigen Position weiter zu beschäftigen.
- Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreites zu tragen.
- Der Streitwert wird auf EUR 10.428,– festgesetzt.
III. Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
IV. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit zweier fristloser, hilfsweise ordentlicher Kündigungen, einen Auflösungsantrag des Arbeitgebers, sowie über einen Weiterbeschäftigungsanspruch.
Der Kläger, geboren am, verheiratet, ist seit 1.3.2000 gemäß dem schriftlichen Arbeitsvertrag vom 24.1.2000 (Fotokopie Bl. 5 – 7 d. A.) als „Kraftfahrer für die Direktion und für den Betrieb” beschäftigt gegen ein Bruttomonatsentgelt von zuletzt EUR 2.607,59.
Nach dem Vortrag des Klägers ist dieser am 27.2.2004 im Hof der Beklagten aufgrund der winterlichen Verhältnisse gestürzt und hat sich hierbei das Knie und den Knöchel links verletzt. Zwischen den Parteien ist streitig, wann der Kläger dies der Beklagten mitgeteilt hat, ob sofort am 27.2.2004 (so der Kläger) oder erst im Mai 2004; Tatsache ist, dass die Unfallanzeige durch die Beklagte an die Berufsgenossenschaft erst mit Schreiben vom 11.5.2004 (Bl. 89 d. A.) erfolgte.
Der Kläger hat sich für die Zeit 10. bis 12.3.2004 und 19.4. bis 2.5.2004 arbeitsunfähig krank gemeldet. Für den 3.5.2004 hat der Kläger Urlaub beantragt, der auch erteilt wurde. Ab 6.5.2004 meldete sich der Kläger wiederum arbeitsunfähig krank und zwar zuerst bis 6.6.2004. Er war nach seinem Vortrag weiter arbeitsunfähig krank bis 16.8.2004, wobei er sich nach seinem Vortrag am 2.6.2004 einer Operation am Kniegelenk unterzogen hat.
Auf eine Anfrage der Beklagten beim Kreisverwaltungsreferat München wurde ihr mit Schreiben vom 25.5.2004 mitgeteilt, dass die Kleingaststätte T. in M., mit der täglichen Betriebszeit 6.00 Uhr bis 22.00 Uhr seit 30.4.2004 vom Kläger betrieben wird (Fotokopie Bl. 36 d. A.).
Die Beklagte hat daraufhin am 27.5.2004 eine Detektei beauftragt herauszufinden, ob und in welchem Umfang der Kläger in diesem Lokal tätig ist.
Nach dem Vortrag der Beklagten hat ein Mitarbeiter der Detektei den Kläger am Freitag, den 28.5.2004 eine Stunde lang im Lokal observiert; der Kläger sei „hinter der kleinen Bar” gestanden und habe Getränke eingeschenkt. Kurz nach dem der Detektiv an einem der Tische Platz genommen hatte, habe der Kläger die Bestellung aufgenommen und ihn mit dem bestellten Getränk bedient. In gleicher Weise habe der Kläger auch andere Gäste bedient, die zwischenzeitlich das Lokal betreten hätten und bei denen er offensichtlich sehr gut bekannt zu sein schien; jedenfalls hätten ihn alle neuen Gäste herzlich begrüßt. In der Zwischenzeit habe der Kläger gemeinsam mit seiner hinzugekommenen Ehefrau den Geschirrspüler geleert, eine Kochstandfigur ins Cafe getragen, Speisekarten eingesammelt usw., also Tätigkeiten durchgeführt, die üblicherweise von Kellnern oder Betreibern solcher Lokale erledigt würden.
Nach dem weiteren Vortrag der Beklagten wurde sie am 1.6.2004 von der Detektei über die Beobachtungen informiert. Im Auftrag des Vorstandes, Herrn H., hat dann Frau B., Mitarbeiterin in der Personalabteilung der Beklagten, mit dem Kläger telefoniert; der genaue Inhalt dieses Telefonates ist zwischen den Parteien streitig.
Unmittelbar nach dem Telefonat hat Herr H. – nach dem Vortrag der Beklagten – am 1.6.2004 mit den Betriebsratsmitgliedern Dr. S., L., Frau V. und Dr. R. ein Gespräch geführt, in welchem er diese über den „Sachverhalt” informierte und ihnen zugleich die beiden Anhörungsschreiben vom 1.6.2004 über die beabsichtigte außerordentliche und ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Kläger übergab (Fotokopie Bl. 94/95 d. A.). Der Betriebsratsvorsitzende, Herr D., und die stellvertretende Betriebsratsvorsi...