Entscheidungsstichwort (Thema)
Unmittelbare Geltung tariflicher Inhaltsnormen bei beiderseits tarifgebundenen Arbeitsvertragsparteien. Keine Abbedingung des Günstigkeitsprinzips durch Tarifklausel
Leitsatz (amtlich)
Erfordert ein Tarifvertrag, damit er für tarifgebundene Arbeitnehmer gilt, den Abschluss eines neuen Arbeitsvertrages, liegt ein Verstoß gegen § 4 Abs. 1 (Unmittelbarkeit) und Abs. 3 (Günstigkeitsprinzip) vor.
Leitsatz (redaktionell)
1. Rechtsnormen eines Tarifvertrags, die den Inhalt, den Abschluss und die Beendigung von Arbeitsverhältnisses regeln, gelten unmittelbar und zwingend zwischen den beiderseits Tarifgebundenen, die unter den Geltungsbereich des Tarifvertrags fallen (sog. Unmittelbarkeitsprinzip). Eine tarifliche Regelung, die zur Anwendung des Tarifvertrages eine gesonderte arbeitsvertragliche Vereinbarung erfordert, ist wegen Verstoßes gegen den Unmittelbarkeitsgrundsatz unwirksam.
2. Ist es Zweck einer tariflichen Klausel, den Tarifvertrag erst durch eine arbeitsvertragliche Umsetzung in Kraft zu setzen und damit zu verhindern, dass Arbeitnehmer über ihre Arbeitsverträge andere, d.h. auch bessere Bedingungen haben sollten oder könnten als die tarifvertraglich vorgesehenen Bedingungen, verstößt diese Tarifklausel gegen das Günstigkeitsprinzip des § 4 Abs. 3 TVG und ist unwirksam.
Normenkette
TVG § 4 Abs. 1, 3; BGB § 134
Verfahrensgang
ArbG Augsburg (Entscheidung vom 08.10.2018; Aktenzeichen 2 Ca 199/17) |
Nachgehend
Tenor
I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Augsburg (Az. 2 Ca 199/17) vom 08.10.2018 abgeändert und klarstellend wie folgt gefasst:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin € 3.227,60 brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz
aus je € 97,08 seit 15.09.2016, 15.10.2016, 15.11.2016, 15.12.2016, 15.01.2017, 15.02.2017, 15.03.2017 sowie
aus je € 172,52 seit 15.04.2017, 15.05.2017, 15.06.2017, 15.07.2017, 15.08.2017, 15.09.2017, 15.11.2017, 15.12.2017, 15.01.2018, 15.02.2018, 15.03.2018 sowie
aus € 315,98 seit dem 15.04.2018 und
aus je € 167,17 seit 15.05.2018 und 15.06.2018
zu bezahlen.
2. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin € 2.520,00 brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz
aus € 1.260,00 seit 15.12.2016 und
aus weiteren € 1.260,00 seit 15.12.2017
zu bezahlen.
3. Die Beklagte wird verurteilt, dem Stundenkonto der Klägerin 30,5 Stunden gutzuschreiben.
4. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin € 300,00 brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 15.04.2018 zu bezahlen.
5. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
6. Von den Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin 38/100, die Beklagte 62/100.
II. Von den Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Klägerin 37/100, die Beklagte 63/100.
III. Die Revision wird zugelassen für die Beklagte, für die Klägerin nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über Ansprüche aus Arbeitsentgelt (Differenzlohn), Zahlung von Sonderzahlungen, Zuschläge für Überstunden, über eine Stundengutschrift und schließlich eine Einmalzahlung aufgrund einer Erhöhung der Entgelttabelle.
Die am xx.xx.xx geborene Klägerin steht seit dem 01.03.2008 in einem Arbeitsverhältnis. Dieses bestand zunächst mit der Firma E. Grundlage des Arbeitsverhältnisses war ein schriftlicher Arbeitsvertrag vom 13.02.2008 (Bl. 13 - 18 d. A.). Gem. § 1 Abs. 1 Satz 1 dieses Arbeitsvertrages ist die Klägerin als Sachbearbeiterin im Wareneingang beschäftigt.
Der Arbeitsvertrag vom 13.02.2008 sieht auszugsweise folgende Regelungen vor:
§ 2 Vergütung
1. Frau A. erhält eine monatliche Vergütung in Höhe von 2100,00 € brutto.
Zudem erhält Frau A. eine monatliche Zulage in Höhe von € 250,00 brutto. Diese Zulage ist befristet bis zur Einführung eines Leistungsprämiensystems. Die Zulage wird sodann durch die Zahlung einer Leistungsprämie ersetzt.
...
2. Darüber hinaus erhält Frau A. folgende Sonderleistungen:
- Frau A. erhält Urlaubsgeld in Höhe von € 500,00 brutto....
- Ferner erhält Frau A. eine Weihnachtsgratifikation in Höhe von € 600,00 brutto...
Das Urlaubsgeld und die Weihnachtsgratifikation sind Sonderleistungen, die ausschließlich für die von Frau A. bereits erbrachte sowie die zukünftige Betriebstreue und nicht als Vergütung der Arbeitsleistung gewährt werden.
...
§ 3 Arbeitszeit
Die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit beträgt 38,5 Stunden. Die Verteilung der Arbeitszeit richtet sich nach den betrieblichen Erfordernissen.
Mehrarbeit ist in betrieblich erforderlichem Umfang zu leisten. Sofern Mehrarbeit anfällt und die betrieblichen Belange dies zulassen, wird dafür Freizeitausgleich gewährt.
...
§ 12 Ausschlussfrist
Alle Ansprüche der Vertragsparteien untereinander verfallen, wenn sie nicht binnen einer Ausschlussfrist von drei Monaten nach Fälligkeit schriftlich gegenüber dem anderen Vertragspartner geltend gemacht worden sind. Maßgeblich ist der Eingang des Schreibens beim anderen Vertragspartners.
...
§ 14 Schl...