Entscheidungsstichwort (Thema)

Zusage einer Retention-Prämie kurz vor Insolvenz. Anfechtung der Zusage durch den Insolvenzverwalter. unentgeltliche Leistung. Prämienzusage vor der Insolvenz. unbegründete Zahlungsklage des Arbeitnehmers bei Begründung der Forderung vor der Insolvenz und Anfechtung der Zusage durch den Insolvenzverwalter

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Insolvenzforderungen im Sinne des § 38 InsO liegen dann vor, wenn es sich um einen zur Zeit des Insolvenzverfahrens begründenden Vermögensanspruch gegen die Schuldnerin handelt; die Frage der Begründung einer Forderung ist hinsichtlich des Zeitpunkts insoweit maßgeblich, um gerade eine Abgrenzung von Insolvenz- und Masseforderungen vornehmen zu können, wobei die Begründung der Forderung nicht gleichzustellen ist mit dem Begriff etwa des Entstehens oder der Fälligkeit einer Forderung.

2. Die Trennlinie zwischen den Forderungen, die als Masseverbindlichkeit vorweg zu befriedigen sind, und Insolvenzforderungen bestimmt sich danach, ob der Rechtsgrund der Entstehung der Forderung im Augenblick vor Verfahrenseröffnung bereits gelegt war; das ist dann der Fall, wenn der anspruchsbegründende Tatbestand vor der Verfahrenseröffnung materiell-rechtlich abgeschlossen war, ohne dass die Forderung selbst schon entstanden war oder fällig geworden ist.

3. Beruht die Zahlung eines "Retention-Bonus" auf dem anspruchsbegründenden Tatbestand einer Zusage und ist dieser Tatbestand vor der Insolvenzeröffnung durch Zugang der Zusage beim Arbeitnehmer bereits abgeschlossen, ist die Forderung des Arbeitnehmers bereits vor Insolvenzeröffnung begründet im Sinne des § 38 InsO; dass die Forderung möglicherweise erst später dadurch entstanden ist, dass der Arbeitnehmer von einem Kündigungsrecht nicht Gebrauch gemacht hat, ist dabei nicht maßgeblich, da es sich insoweit entweder um eine auflösend bedingte Forderung handelt, die bereits entstanden war und dann durch ein etwaiges Ausüben des Kündigungsrechts beseitigt wurde, oder aber um eine aufschiebend bedingte Forderung, die dann entstand, wenn zu einem bestimmten Zeitpunkt die Kündigung durch den Arbeitnehmer nicht erklärt worden war.

4. Gemäß § 134 InsO ist eine unentgeltliche Leistung der Schuldnerin anfechtbar, wenn sie nicht früher als vier Jahre vor dem Insolvenzantrag vorgenommen worden ist, und wenn durch die Rechtshandlung eine Gläubigerbenachteiligung eingetreten ist (§ 129 InsO).

5. Kommt als denkbare Gegenleistung für die Zusage eines "Retention-Bonus" lediglich der Verzicht auf ein Kündigungsrecht in Betracht, ohne dass der Arbeitnehmer eine irgendwie geartete Arbeitsleistung erbringen muss und diese auch nicht erbracht hat, kann zum Zeitpunkt der Zusage von einer Entgeltlichkeit der Leistung nicht gesprochen werden; der reine Verbleib des Arbeitnehmers im Betrieb bis zu bestimmten Stichtagen hat für die Schuldnerin keinerlei messbaren Wert.

 

Normenkette

InsO §§ 38, 55, 119, 130, 134, 129

 

Verfahrensgang

ArbG München (Entscheidung vom 22.11.2011; Aktenzeichen 16 Ca 19240/09)

 

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das Endurteil des Arbeitsgerichts München vom 22.11.2011 - 16 Ca 19240/09 - wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.

2. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Zahlung eines sog. "Retention Bonus".

Der Kläger war seit dem 01.05.2005 bei der I. AG beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis ging am 01.05.2006 im Zuge eines Betriebsübergangs auf die Q. AG über. Der Kläger war als "Head of HR Vendor Management Germany" mit einem Jahreszieleinkommen in Höhe von ca. 0,- € brutto beschäftigt. In dieser Funktion war er als Führungskraft für die Sicherstellung der externen Dienstleistungen im Personalbereich verantwortlich. Das Arbeitsverhältnis endete am 30.11.2009.

Der Q.-Konzern und die Schuldnerin gerieten im Verlauf der Jahre 2007 und 2008 in finanzielle Schwierigkeiten, nachdem der Umsatz um einen Milliardenbetrag zurückgegangen war. Insbesondere im Geschäftsjahr 2008 verzeichnete die Schuldnerin einen Jahresfehlbetrag in Höhe von etwa 3,671 Mrd. €.

Infolgedessen war die Q. AG gezwungen, zum 23.01.2009 Eigenantrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu stellen. Mit Beschluss des Amtsgerichts München - Insolvenzgericht - vom gleichen Tag wurde die vorläufige Insolvenzverwaltung über das Vermögen der Schuldnerin angeordnet und der Beklagte zum vorläufigen Insolvenzverwalter mit Zustimmungsvorbehalt gem. § 21 Abs. 1 und 2 Satz 1 Nr. 1 Alt. 2 InsO bestellt. Mit Beschluss des Amtsgerichts München - Insolvenzgericht - vom 01.04.2009 wurde das Insolvenzverfahren wegen Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung eröffnet.

Im Jahr 2008 gab es intensive Bemühungen der Schuldnerin, die schwierige finanzielle Situation zu lösen. Im Gespräch war der Einstieg bzw. die Übernahme durch einen ausländischen Investor. Auch ein verstärktes Engagement der Muttergesellschaft, der I. AG, und eine Unterstützung durch den Freistaat Sachsen wurden diskutiert. Die üblichen Gespräche hierzu wurden vor allem nach Oktober 2008 ...

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