Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorgreiflichkeit eines tariflichen Anspruchs vor einem arbeitsvertraglichen Anspruch. Verwirkung als Sonderfall der unzulässigen Rechtsausübung. Parallelverfahren zu LAG München 11 Sa 376/19, 11 Sa 377/19, 11 Sa 378/19, 11 Sa 379/19 v. 13.11.2019
Leitsatz (amtlich)
Der arbeitsvertragliche Anspruch auf Zahlung von Zulagen kommt nicht zum Zuge, da vorrangig der tarifliche Anspruch greift, der auch erfüllt ist.
Normenkette
BGB §§ 611, 242
Verfahrensgang
ArbG Rosenheim (Entscheidung vom 27.02.2019; Aktenzeichen 4 Ca 134/17) |
Nachgehend
Tenor
1. Die Berufung des Klägers gegen das Endurteil des Arbeitsgerichtes Rosenheim (Az.: 4 Ca 134/17) vom 27.02.2019 wird zurückgewiesen.
2. Auf die Berufung der Beklagten wird das Endurteil des Arbeitsgerichtes Rosenheim (Az.: 4 Ca 134/17) vom 27.02.2019 abgeändert und die Klage insgesamt abgewiesen.
3. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.
4. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Zahlung von übertariflichen Zulagen aufgrund arbeitsvertraglicher Vereinbarung in einem bestehenden Arbeitsverhältnis.
Die Beklagte betreibt ein Busunternehmen, das im öffentlichen Personennahverkehr verschiedene Linienbusverbindungen bedient. Der Kläger ist seit 02.03.1992 bei der Beklagten als Busfahrer beschäftigt. Der Kläger erbringt seine Arbeitsleistung ausgehend vom Betrieb der Beklagten in X..
Der Arbeitsvertrag der Parteien datiert vom 25.02.1992 (Bl. 4 - 6 d. A.). Zur Vergütung ist darin Folgendes geregelt:
Zunächst wird unter Ziffer 6. auf eine "Anlage 2" verwiesen
"[...] 7. Zahlung der Vergütung
Die Überweisung der Vergütung erfolgt jeweils bis zum Monatsletzten bargeldlos" (Bl. 5 d. A).
Zur Vergütung ist in Anlage 2 u.a. Folgendes geregelt:
"[...] 6. Tätigkeitsvergütung
6.1. Linienverkehr, Berufsverkehr, Schülerverkehr 19,31 DM/Stunde
(Grundstundenlohn zuzügl. 10% Schicht- und 10 %
Einmannfahrerzulage; siehe Ziffer 6.4.)
[...]
6.4. Die Schicht- und Einmannfahrerzulage werden - soweit die tariflichen Voraussetzungen nicht vorliegen - übertariflich gezahlt. Die übertariflichen Leistungen werden freiwillig, jederzeit nach freiem Ermessen widerruflich gewährt. Auf tarifliche Lohnerhöhungen können sie durch Erklärung des Arbeitgebers auch rückwirkend zum Zeitpunkt der Tariferhöhung ganz oder teilweise angerechnet werden. [...]" (Bl. 7 d. A.)
Zur Anwendbarkeit von Tarifverträgen auf das Arbeitsverhältnis ist in Ziff. 10 des Arbeitsvertrags Folgendes vereinbart:
"10. Kollektivregelungen
Das Arbeitsverhältnis unterliegt im Übrigen den für den Arbeitgeber geltenden Tarifverträgen für die gewerblichen Arbeitnehmer im Omnibusverkehr in ihrer jeweils letzten Fassung. Die Tarifverträge können im Büro eingesehen werden." (Bl. 6 d. A.).
Am 24.08.1995 schlossen die Beklagte und deren Betriebsrat die "9. Betriebsvereinbarung" (Bl. 122 - 125 d. A.). Diese lautet auszugsweise wie folgt:
"[...] 2. Garantie für die Zahlung übertariflicher Zulagen
Soweit Zulagen übertariflich gewährt werden, verzichtet die C. darauf, von ihrem Recht Gebrauch zu machen, diese
- nach freiem Ermessen jederzeit zu widerrufen
- durch Erklärung ganz oder teilweise auf tarifliche Lohnerhöhungen anzurechnen.
Die in Anlage 2 der vor der dem 01.09.1995 abgeschlossene Verträge bzw. in Ziff. 6 oder 7 der Verträge älterer Form insoweit getroffenen Festlegungen sind damit gegenstandslos. [...]" (Bl. 126/127 d. A.).
Am 01.04.2000 traten zwischen der Beklagten und der Gewerkschaft der Eisenbahner Deutschlands abgeschlossene Haustarifverträge in Kraft, namentlich der Manteltarifvertrag (im Folgenden auch: MTV C.) vom 08.02.2000 (Bl. 196 - 213 d. A.) und der "Tarifvertrag über Löhne und Gehälter" mit Lohn- und Gehaltstabellen als Anlage, ebenfalls vom 08.02.2000 (Bl. 218 - 224 d. A.).
Die Gewerkschaft der Eisenbahner Deutschlands (Transnet) teilte ihren Mitgliedern im Rahmen eines Vorwortes zum Tarifvertrag für die Beschäftigten der C. und E. u.a. folgendes mit (vom Kläger vorgelegt Bl. 625 d.A.):
"... Es gibt auch viel Positives. Zum Beispiel, dass künftige Tariferhöhungen mit den Zuschlägen berechnet werden. So ist es ein großer Erfolg, dass diese Zulagen (10% bis 29%) in die Stundenlöhne integriert wurden...".
In der Broschüre der Gewerkschaft war auch ein Vergleich der Zahlungen nach den Tarifverträgen der ÖTV/LBO und der Transnet angefügt, die auch die Stundenlöhne und Zulagen nach ÖTV und die Stundenlöhne des Haustarifvertrages gegenüberstellten (Bl.626 d.A.).
Die Beklagte rechnete spätestens ab 01.06.2000 keine Schichtzulagen und Einmannfahrerzulagen zugunsten des Klägers ab und zahlte diese entsprechend nicht mehr aus. Die genannten Haustarifverträge sehen diese Zulagen nicht vor. Die Zulagen wurden vom Kläger ab diesem Zeitpunkt bis zur streitgegenständlichen Auseinandersetzung nicht geltend gemacht.
Der MTV C. i. d. F. vom 16.10.2015 enthält in § 9 folgende Regelung zu Ausschlussfristen:
"§ 9
Ausschlussfristen
Ansprüche aus dem Arbeitsverhält...