Entscheidungsstichwort (Thema)
Steuerschadenersatz bei verspäteter Zahlung von Arbeitsvergütung. Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrags. Anrechnung von Dienstzeiten in Konzert- und Theaterorchestern nach § 15 Abs. 1 TVK
Leitsatz (amtlich)
Für die Dienstzeit i. S. d. § 15 Abs. 1 TVK i. d. F. vom 01.10.2019 ist nach Wortlaut, Sinn und Zweck sowie Systematik nicht Voraussetzung, dass das Konzert- und Theaterorchester, in dem der Arbeitnehmer als Musiker Zeiten zurückgelegt hat, ein solches i. S. d. § 1 TVK i. d. F. vom 01.10.2019 ist.
Leitsatz (redaktionell)
1. Zahlt ein Arbeitgeber die Arbeitsvergütung schuldhaft verspätet aus, muss er dem Arbeitnehmer den daraus entstehenden Steuerschaden ersetzen. Die Höhe des Schadens bestimmt sich aus einem Vergleich der steuerlichen Lage bei verspäteter Zahlung mit der rechtzeitigen Zahlung. Zum Steuerschaden können je nach den Umständen des Einzelfalls auch die Kosten für die Einschaltung eines Steuerberaters gehören.
2. Die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrags folgt den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Danach ist zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen, wobei der maßgebliche Sinn der Erklärung zu erforschen ist, ohne am Buchstaben zu haften. Bei nicht eindeutigem Wortlaut ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien mit zu berücksichtigen, soweit er in den tariflichen Normen seinen Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist stets auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefert und nur so Sinn und Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden können.
Normenkette
TVK § 1 Fassung: 2019-10-01, § 15 Abs. 1 Fassung: 2019-10-01, Abs. 2 Fassung: 2019-10-01, Abs. 3 Fassung: 2019-10-01, § 18 Abs. 1 Fassung: 2019-10-01, Abs. 2 Fassung: 2019-10-01; BGB § 241 Abs. 2, § 249 Abs. 1, §§ 276, 280 Abs. 1, § 286 Abs. 2 Nr. 1
Verfahrensgang
ArbG München (Entscheidung vom 04.08.2021; Aktenzeichen 35 Ca 15754/20) |
Nachgehend
Tenor
Die Berufung der Klägerin und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts München vom 04.08.2021 - 35 Ca 15754/20 - werden zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens haben die Parteien je zur Hälfte zu tragen.
Die Revision wird für die Beklagte zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Anrechnung von Dienstzeiten der Klägerin und einen Steuerprogressionsschadensersatzanspruch.
Durch Arbeitsvertrag vom 10.07.2013 begründete die Klägerin zum 01.10.2013 ein bis zum 30.09.2014 befristetes Arbeitsverhältnis als Musikerin mit dem Z am Y des beklagten Landes (vgl. Anlage K1 = Bl. 30 f. d. A.). Ihr wurde die Tätigkeit einer X der 1. Violine übertragen. Nach § 4 des Arbeitsvertrags bestimmte sich das Arbeitsverhältnis nach dem Tarifvertrag für die Musiker in Kulturorchestern (TVK) vom 31.10.2009 in der jeweils geltenden Fassung und den ihn ergänzenden, ändernden oder an seine Stelle tretenden Tarifverträgen. Der Tarifvertrag, der bei Dienstantritt der Klägerin galt, lautete auszugsweise wie folgt:
"§ 1 Geltungsbereich
(1) Dieser Tarifvertrag gilt für die Musiker in Kulturorchestern innerhalb der F., deren Arbeitgeber ein Unternehmermitglied des Deutschen Bühnenvereins ist.
(2) Kulturorchester sind Orchester, die regelmäßig Operndienst versehen oder Konzerte ernst zu wertender Musik spielen.
...
§ 15 Dienstzeit
(1) Die Dienstzeit umfasst die bei Kulturorchestern (§ 1 Abs. 2) als Musiker zurückgelegten und die nach den Absätzen 2 und 3 anzurechnenden Zeiten."
Am 20.12.2013 legte die Klägerin ein Zertifikat über ihre Anstellung im W vom 30.09.2007 bis 21.12.2007 sowie vom 01.09.2008 bis 03.06.2009 als 1. Violine in Vollzeit (vgl. Anl. K14 = Bl. 287 d. A.) vor.
Dieser Tarifvertrag wurde zum 01.10.2019 durch den Tarifvertrag für Konzert- und Theaterorchester ersetzt, der auszugsweise lautete:
"§ 1 Geltungsbereich
Dieser Tarifvertrag gilt für die Musiker in Konzert- und Theaterorchestern innerhalb der F., deren Arbeitgeber ein Unternehmermitglied des Deutschen Bühnenvereins ist.
(...)
§ 15 Dienstzeit
(1) Die Dienstzeit umfasst die bei Konzert- und Theaterorchestern als Musiker zurückgelegten und die nach den Absätzen 2 und 3 anzurechnenden Zeiten.
(2) Zeiten einer Tätigkeit als Musiker in anderen als Konzert- und Theaterorchestern sowie Zeiten einer sonstigen musikalischkünstlerischen oder einer musikpädagogischen Tätigkeit können auf die Dienstzeit angerechnet werden.
(3) Die in den Absätzen 1 und 2 aufgeführten Zeiten werden nicht angerechnet, wenn der Musiker das Arbeitsverhältnis gekündigt oder vorzeitig aufgelöst hat oder wenn es aus einem von ihm verschuldeten Grund beendet worden ist. Dies gilt nicht, wenn sich an das Arbeitsverhältnis unmittelbar ein anderes Arbeitsverhältnis mit demselben Arbeitgeber oder ein Arbeitsverhältnis mit dem rechtlichen Träger eines anderen Konzert- oder Theaterorchesters anschließt oder wenn der Musiker das Arbeitsverhältnis wegen eines mit Sicherhe...