Entscheidungsstichwort (Thema)
Retention-Vereinbarung
Leitsatz (amtlich)
1. Vereinbaren ein in seiner wirtschaftlichen Existenz bedrohtes Unternehmen und einen Arbeitnehmer die Zahlung eines Jahresfixgehaltes (Retention Payment), zahlbar in drei gleichen Raten, für den Fall, dass der Arbeitnehmer zu bestimmten festgelegten Zeitpunkten sein Arbeitsverhältnis nicht beendet hat, so stellt dies keine unentgeltliche Leistung dar, die zur Anfechtung durch den Insolvenzverwalter nach § 134 Abs. 1 InsO berechtigte, wenn nachfolgend über das Vermögen des Untenehmens die Insolvenz eröffnet wird. Das Verblieben des Arbeitnehmers im Arbeitsverhältnis stellt eine Gegenleistung dar, die dem Unternehmen einen „Neustart” mit den dafür wesentlichen Mitarbeitern ermöglicht.
2. Daran ändert sich auch nichts, wenn in der Vereinbarung festgehalten ist, dass der Retention-Bonus in voller Höhe zu zahlen sei, wenn der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis beende. Denn diese Vereinbarung ist zum einen dahingehend auszulegen, dass die Zahlung nur im Falle einer betriebsbedingten Arbeitgeberkündigung in voller Höhe zu leisten ist. Jedenfalls aber stellte die durch Arbeitsvertragsverletzungen provozierte Arbeitgeberkündigung eine treuwidrige Herbeiführung der Bedingung dar, die nach § 162 BGB die Auszahlung des vollen Retention-Betrages ausschlösse.
3. Eine Anfechtung der Retention-Vereinbarung nach § 133 Abs. 1 InsO kommt grundsätzlich in Betracht. Allerdings muss der Insolvenzverwalter darlegen und beweisen, dass das Unternehmen (Schuldnerin) mit der Retention-Vereinbarung seine Gläubiger vorsätzlich benachteiligen wollte und dem Vertragspartner (Arbeitnehmer) dies bekannt war. Nach der gesetzlichen Vermutung des § 133 Abs. 1 Satz 2 InsO reicht zwar aus, dass der Arbeitnehmer von der drohenden Zahlungsunfähigkeit wusste und die Gläubigerbenachteiligung kannte. Dafür sprechende Anknüpfungstatsachen sind allerdings konkret vorzutragen und ggf. zu beweisen. Der Vortrag, diese Kenntnis liege mutmaßlich oder „bei lebensnaher Betrachtung” vor, ist nicht ausreichend.
4. Das Vorhandensein eines Sanierungs- oder Restrukturierungskonzeptes, das von unabhängigen Wirtschaftsprüfern als durchführbar angesehen wird, kann eine Gläubigerbenachteiligungsabsicht in der Eingehung eines Retention Payment ausschließen.
Normenkette
InsO §§ 133-134, 146
Verfahrensgang
ArbG München (Urteil vom 15.12.2010; Aktenzeichen 3 Ca 15318/09) |
Nachgehend
Tenor
I. Auf die Berufung des Klägers wird dasEndurteil des Arbeitsgericht München vom15. Dezember 2010 – 3 Ca 15318/09 abgeändert.
II. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger EUR 61.700,– EUR brutto nebst Zinsen i.H.v. 5 % Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus EUR 30.850,– seit dem 01.07.2010 sowie aus weiteren EUR 30.850,– seit dem 01.11.2010 zu zahlen.
III. Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
IV. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten auch im Berufungsverfahren um die Zahlung einer so genannten Retention-Prämie.
Die Klagepartei war bei der … AG, der nicht tarifgebundenen Schuldnerin, zuletzt als Senior Director … bei einem Jahresfixgehalt von EUR … brutto und einem jährlichen Zielgehalt von EUR … brutto beschäftigt.
Die … AG geriet in den Jahren 2007 und 2008 zunehmend in finanzielle Schwierigkeiten. Im Zeitraum August/September 2008 beauftragte sie Rechtsanwalt Dr. … mit der wöchentlichen Erstellung eines Liquiditätsberichtes. Dessen Bericht vom 23. Sept. 2008 ergab, dass die Liquidität nur mehr bis Oktober 2008 gesichert gewesen sei. Die Unternehmensberatung … wurde beauftragt, die für die Prüfung der Insolvenzantragspflicht notwendigen Liquiditätsübersichten in Zusammenarbeit mit einem internen Mitarbeiterteam (Rocky Project Group) zu erstellen. Deren Bericht vom 24. Okt. 2008 ließ eine weitere erhebliche Verschlechterung der Liquidität der … AG erkennen.
Die Gehälter, einschließlich der Abgaben (Steuern, Sozialversicherungsbeiträge) hatte die Schuldnerin rechtzeitig und in voller Höhe an die Arbeitnehmer bzw. zuständigen Stellen erbracht. Allerdings war eine Betriebsvereinbarung über Firmenjubiläen gekündigt worden. Zudem hatte man beschlossen, die vereinbarte Tariflohnerhöhung nicht an die Beschäftigten weiterzugeben.
Unter dem Datum 16. Okt. 2008 vereinbarte die … AG mit der Klagepartei ein „Retention Payment”, dergestalt, dass an die Klagepartei jeweils eine einmalige Zahlung von EUR 30.850.– brutto zum 31. Jan. 2009, zum 31. Mai 2009 und zum 30. Sept. 2009 gezahlt werden sollte, sofern diese zum Auszahlungszeitpunkt ihr Arbeitsverhältnis nicht von sich aus gekündigt haben sollte. Die … AG sagte die Zahlungen in voller Höhe ausdrücklich auch für den Fall zu, dass die Lösung des Arbeitsverhältnisses durch die Arbeitgeberin veranlasst werden sollte; die Auszahlung war dann mit dem Wirksamwerden der Kündigung bzw. eines Aufhebungsvertrages vorgesehen (Anlage K 1, Bl. 3 d. A.).
Die Klagepartei war jedenfalls bis 30. Sept. 2009 im...