Entscheidungsstichwort (Thema)
Zeitlich begrenzte Tarifbindung der nicht tarifgebundenen Betriebserwerberin. Zahlungsklage des Arbeitnehmers bei mehrfachen Betriebsübergang
Leitsatz (amtlich)
Die nach § 613a Abs. 1 S. 2 BGB transformierten Normen eines bis zum Betriebsübergang normativ geltenden Tarifvertrages gehen zwar in das Arbeitsverhältnis zwischen Erwerber und Arbeitnehmer ein, behalten aber auch beim Betriebserwerber ihren kollektivrechtlichen Charakter bei und wandeln sich nicht so in individualvertragliche Vereinbarungen, dass aus Tarifrecht Vertragsinhalt wird.
Die zwingende Wirkung der transformierten Normen bindet den nicht tarifgebundenen Erwerber innerhalb der Sperrfrist von einem Jahr in derselben Weise an den Tarifvertrag, auf dessen Änderung oder Beendigung er keinen Einfluss hat, wie einen Arbeitgeber, der nicht mehr Mitglied des vertragsschließenden Verbandes ist. Anschließend wird gleichsam das Ende des Tarifvertrages im Sinne von § 3 Abs. 3 TVG fingiert. Die bisher zwingend geltenden Normen sind nunmehr auch zu Lasten des Arbeitnehmers abänderbar. Dies entspricht dem Regelungsmechanismus, wie er nach Eintritt der Nachwirkung gemäß § 4 Abs. 5 TVG im Veräußerungsbetrieb nach dem Ende des Tarifvertrages gelten würde (im Anschluss an BAG-Urteil vom 22.04.2009 - 4 AZR 100/08).
Ein neuer Tarifvertrag kann die Nachwirkung der in das Arbeitsverhältnis transformierten Normen nur beenden, wenn er unmittelbar und zwingend auf das Arbeitsverhältnis einwirkt und auch die übrigen Voraussetzungen der Tarifgeltung in Bezug auf das Arbeitsverhältnis gegeben sind.
Jedenfalls außerhalb des Bereichs erzwingbarer Mitbestimmung des Betriebsrates ist für eine sog. Über-Kreuz-Ablösung der Rechtsnormen eines Tarifvertrages durch Regelungen einer Betriebsvereinbarung kein Raum.
Normenkette
BGB § 613 a Abs. 1 Sätze 1-3; TVG § 3 Abs. 3, § 4 Abs. 5; BetrVG § 87 Abs. 1 Nr. 10; ZPO § 256 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Regensburg (Entscheidung vom 05.07.2011; Aktenzeichen 7 Ca 1655/10) |
Tenor
I. Das Urteil des Arbeitsgerichts Regensburg vom 05.07.2011 - Az. 7 Ca 1655/10 - wird teilweise abgeändert:
1. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger für das Urlaubsjahr 2011 einen Tag Zusatzurlaub zu gewähren.
2. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger € 3.945,02 (in Worten: dreitausendneunhundertfünfundvierzig 2/100 EURO) brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 14.11.2011 zu zahlen.
II. Im Übrigen wird die Berufung des Klägers zurückgewiesen.
III. Von den Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger 4/5 und die Beklagte 1/5.
IV. Die Revision zum Bundesarbeitsgericht wird für beide Parteien zugelassen.
Tatbestand
Das Arbeitsverhältnis des Klägers ist durch zwei Betriebsübergänge auf die Beklagte übergegangen. Die Parteien streiten über Ansprüche, die der Kläger aus einem Anerkennungstarifvertrag und aus Betriebsvereinbarungen ableitet, die jeweils bei seinem ursprünglichen Arbeitgeber abgeschlossen wurden.
Zunächst bestand das Arbeitsverhältnis des Klägers zur E.. Bei der E. galt ein Anerkennungsvertrag vom 27.11.1998 in der Fassung vom 29.10.1999, den diese und andere Unternehmen der E. mit der IG-Metall abgeschlossen hatten. Der Kläger war Mitglied der IG-Metall.
Der Anerkennungstarifvertrag enthielt unter anderem folgende Regelungen:
"2. Geltungsbereich
Dieser Tarifvertrag gilt für alle in den Firmen beschäftigten Arbeiter, Angestellten und Auszubildenden, die Mitglied der IG Metall sind.
...
3. Anerkennung der Tarifverträge
3.1 Die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Vertrages geltenden Tarifverträge für Arbeiter, Angestellte und Auszubildende in der Metallindustrie des Tarifgebiets Südbaden, abgeschlossen zwischen der IG Metall - Vorstand oder Bezirksleitung Stuttgart - und dem Gesamtverband Metall industrieller Arbeitgeberverbände e. V. (Gesamtmetall) oder dem Arbeitgeberverband der Badischen Metallindustrie e. V. Freiburg, oder dem Verband Südwestmetall in Freiburg ("Tarifvertragswerk") sind Bestandteil dieses Vertrages und gelten für die unter dem jeweiligen Geltungsbereich aufgeführten Arbeitnehmer.
3.2 Das Tarifvertragswerk gilt unmittelbar zwischen den Parteien dieses Vertrages.
3.3 Das gegenwärtig geltende Tarifvertragswerk ist in der Anlage A bezeichnet, die Teil dieses Vertrages ist.
...
4. Rechtsstatus der Tarifverträge
4.1 Die in Bezug genommenen Tarifverträge (auch die nachwirkenden) gelten in der jeweils gültigen Fassung mit dem jeweils gültigen Rechtsstatus.
...
11. Inkrafttreten und Kündigung
11.1 Dieser Vertrag tritt am 01.12.1998 in Kraft und läuft auf unbestimmte Zeit. Er löst alle bei der D. E. D. (Holding) GmbH und ihren Tochterunternehmen geltenden Tarifverträge ab.
..."
(zum vollständigen Inhalt des Anerkennungstarifvertrages und der Anlage A in der Fassung vom 29.10.1999 wird auf Bl. 45 ff. d. A. Bezug genommen).
Die unter Nr. 3.3 genannte Anlage A enthält eine Liste von 15 Tarifwerken, u. a. das "Urlaubsabkommen, Arbeiter und Angestellte" vom 11.12.1996. Es wurde abgeschlossen zwischen dem...