Entscheidungsstichwort (Thema)
Tarifliche Öffnungsklausel
Leitsatz (amtlich)
§ 11 Ziff. 1 Abs. 2, Abs. 4 Satz 2 und Abs. 5 MTV für das private Versicherungsgewerbe in der ab 1. Juli 2004 geltenden Fassung enthält eine Öffnungsklausel auch für Regelungen der Arbeitszeitdauer durch freiwillige Betriebsverbeinbarungen.
Normenkette
Manteltarifvertrag für das private Versicherungsgewerbe
Verfahrensgang
ArbG München (Urteil vom 22.12.2005; Aktenzeichen 22 Ca 18910/05) |
Nachgehend
Tenor
1. Auf die Berufung des Klägers vom 7. Februar 2006 wird das Endurteil des Arbeitsgerichts München vom 22. Dezember 2005 abgeändert.
2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger EUR 926,18 brutto nebst 5 % Zinsen hieraus über dem Basiszinssatz seit 6. Oktober 2005 zu bezahlen.
3. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
4. Für die Beklagte wird die Revision zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Zahlung von Lohn als Wochenarbeitszeitdifferenz für den Zeitraum vom 1. April bis 30. September 2005.
Der Kläger ist seit 1987 bei der Beklagten, einem Versicherungsunternehmen, als Software-Entwickler mit einem monatlichen Bruttogehalt von EUR 5427,– beschäftigt und Mitglied des Betriebsrats. Auf das Arbeitsverhältnis findet kraft beiderseitiger Tarifgebundenheit der Manteltarifvertrag für das private Versicherungsgewerbe (MTV) in der ab 1. Juli 2004 geltenden Fassung Anwendung. In § 11 MTV sind als regelmäßige Arbeitszeit 38 Stunden in der Woche festgelegt.
Mit Betriebsvereinbarung (über die flexible Arbeitszeit) vom 1. Juli 1999, jetzt in der Fassung vom 1. Juli 2003 (Blatt 6 bis 16 der Akte), haben die Betriebspartner die regelmäßige Wochenarbeitszeit auf 37 Stunden festgelegt. Diese Betriebsvereinbarung ist ungekündigt.
Mit Wirkung ab 1. April 2005 hat die Beklagte einseitig die Wochenarbeitszeit auf 38 Stunden erhöht. Der Kläger ist damit nicht einverstanden. Er erachtet die Betriebsvereinbarung aufgrund der tariflichen Öffnungsklausel in § 11 Ziff. 1 Abs. 2 MTV als wirksam mit der Folge einer regelmäßigen Wochenarbeitszeit von 37 Stunden und bestreitet der Beklagten das Recht zur einseitigen Erhöhung dieser Wochenarbeitszeit. Als Differenz zwischen der 37- und der 38-Stundenwoche für die Zeit vom 1. April bis 30. September 2005 errechnet er 25,6 Stunden und verlangt dafür Zahlung von EUR 944,38 brutto nebst Zinsen.
Dieses mit gewerkschaftlichem Schriftsatz vom 8. Dezember 2005 auch gerichtlich geltend gemachte Begehren ist vor dem angerufenen Arbeitsgericht München aber erfolglos geblieben. Auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des klageabweisenden Endurteils vom 22. Dezember 2005 wird Bezug genommen.
Mit der am 7. Februar 2006 beim Landesarbeitsgericht München eingegangenen Berufung gegen diese seinen Prozeßbevollmächtigten am 9. Januar 2006 zugestellte Entscheidung verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Die Begründung dazu ist innerhalb der verlängerten Begründungsfrist am 7. April 2006 eingegangen. Darin lässt der Kläger die Klageforderung neu berechnen und mit nunmehr EUR 926,18 brutto (nebst Zinsen) angeben. Vor allem aber wird der Ansicht des Erstgerichts, die Betriebsvereinbarung vom 1. Juli 1999 wegen Verstoßes gegen § 77 Abs. 3 BetrVG als nichtig anzusehen, entschieden entgegengetreten. Dabei werde übersehen, dass § 11 Ziff. 1 Abs. 5 MTV den Fall einer Verkürzung der Wochenarbeitszeit mit gleichzeitiger entsprechender Kürzung der Bezüge regle, was nur unter strengen Voraussetzungen möglich sein soll. Nach Ansicht des Klägers ist § 11 Ziff. 1 Abs. 2 MTV aber dahin auszulegen, dass durch freiwillige Betriebsvereinbarung die Arbeitszeit auch ohne Gehaltskürzung verkürzt werden dürfe. Dieser Vorschrift wird daher eine tarifvertragliche Öffnungsklausel für die Menge der zu leistenden Arbeit entnommen. Auf die Protokollnotiz Nr. 9 zu § 11 MTV wird ergänzend hingewiesen. Die Berufungsanträge lauten damit:
- Das Endurteil des Arbeitsgerichts München vom 22. Dezember 2005, Az: 22 Ca 18910/05, wird aufgehoben.
- Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger EUR 926,18 brutto nebst 5 % Zinsen hieraus über dem Basiszinssatz seit 6. Oktober 2005 zu bezahlen.
Die Beklagte lässt beantragen:
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Den Überlegungen des Erstgerichts in der angefochtenen Entscheidung pflichtet sie bei, den Ausführungen in der Berufungsbegründung tritt sie entgegen. Die in § 11 MTV enthaltene Öffnungsklausel beschränkt sich nach Ansicht der Beklagten auf die Lage bzw. die Verteilung der wöchentlichen Arbeitszeit, den Umfang der wöchentlichen Arbeitszeit hätten die Tarifparteien damit aber nicht erfasst. Dies ergebe sich auch aus den Absätzen 3 und 4 von § 11 MTV.
Hinzukomme die Tarifvereinbarung über die Einführung einer Arbeitszeitflexibilisierung für das private Versicherungsgewerbe vom 13. September 1995 (befristet bis zum 31. Dezember 2005). Vor diesem Hintergrund bezieht sich die Öffnungsklausel des § 11 Ziff. 1 Abs. 2 MTV nach Ansicht der Beklagten ausweisl...