Entscheidungsstichwort (Thema)
Kein Annahmeverzug bei Leistungsunwilligkeit des Arbeitnehmers. Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrags. Zulässige tarifliche Regelung zur Gesundheitsuntersuchung bei "gegebenem Anlass"
Leitsatz (redaktionell)
1. Nach § 297 BGB kommt der Arbeitgeber nicht in Annahmeverzug, wenn der Arbeitnehmer außerstande ist, die Arbeitsleistung zu bewirken. Der Arbeitnehmer muss leistungsfähig und leistungswillig sein. Lehnt der Arbeitnehmer eine rechtmäßig angeordnete Mitwirkungshandlung wie einen Test auf das SARS-CoV-2-Virus ab, ist er bezüglich seiner vertraglich geschuldeten Leistung nicht leistungswillig.
2. Die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrags folgt den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Danach ist zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen, wobei der maßgebliche Sinn der Erklärung zu erforschen ist, ohne am Buchstaben zu haften. Bei nicht eindeutigem Wortlaut ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien mit zu berücksichtigen, soweit er in den tariflichen Normen seinen Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist stets auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefert und nur so Sinn und Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden können.
3. Ein "gegebener Anlass" im Sinne der Tarifbestimmung des § 4 Abs. 2 TVK liegt vor, wenn bei Vorliegen einer pandemischen Lage nationaler Tragweite die Gefahr besteht, dass sich eine ansteckende Krankheit ständig weiter ausbreitet. In einer solchen Lage ist die Anordnung einer Testpflicht für Orchestermitglieder durch § 4 Abs. 2 TVK gedeckt.
Normenkette
BGB §§ 297, 315 Abs. 3, §§ 611, 615, 618; GewO § 106 S. 2; ArbSchG §§ 3-4; Corona-ArbSchV § 2 Abs. 5 Fassung: 2021-10-26; DSGVO Art. 9 Abs. 1; DSGVO Abs. 2; TVG § 1; ArbSchG § 4 Nr. 3; GewO § 106 S. 1; DSGVO Art. 9 Abs. 2; TVK § 4 Abs. 2
Verfahrensgang
ArbG München (Entscheidung vom 24.03.2021; Aktenzeichen 19 Ca 11406/20) |
Nachgehend
Tenor
1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts München vom 24.03.2021, Az. 19 Ca 11406/20 wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.
2. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über das Bestehen einer Verpflichtung zur Teilnahme an Tests auf eine Infektion mit dem SARS-CoV-2-Virus sowie über Zahlungsansprüche unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzugs.
Die Klägerin ist seit 01.03.1997 bei der A. Staatsoper als Flötistin zu einem Bruttomonatsgehalt in Höhe von zuletzt 8.351,86 € beschäftigt (vgl. Arbeitsvertrag vom 10.02.1997, Bl. 5 d.A.). In § 4 des Arbeitsvertrages ist geregelt, dass sich das Arbeitsverhältnis nach dem Tarifvertrag für die Musiker in Kulturorchestern (TVK) in der jeweils gültigen Fassung bestimmt.
§ 4 Abs. 2 TVK enthält folgende Regelung:
"Der Arbeitgeber kann bei gegebener Veranlassung durch einen Vertrauensarzt (-zahnarzt) oder das Gesundheitsamt feststellen lassen, ob der Musiker arbeitsfähig und frei von ansteckenden oder ekelerregenden Krankheiten ist. Von der Befugnis darf nicht willkürlich Gebrauch gemacht werden."
Die A. Staatsoper beschäftigt knapp 1.000 feste Mitarbeiter, davon ca. 140 Orchestermusiker.
Mit Mail vom 10.08.2020 wurde der Klägerin mitgeteilt, dass sich alle Mitarbeiter des A. Staatsorchesters auf Corona testen lassen müssen (vgl. Mail vom 10.08.2020, Bl. 6.f. d.A.).
Grundlage hierfür ist das Hygienekonzept der A. Staatsoper vom 11.05.2020 (vgl. Anlage B 1, Bl. 38 ff. d.A.). Bestandteil dieses Hygienekonzeptes ist eine Teststrategie, die u.a. mit Beratung des Instituts für Virologie der Technischen Universität A-Stadt und des Klinikums I. entwickelt wurde. Das Testkonzept sieht zum einen vor, dass bei Dienstantritt in der Spielzeit 2020/2021 von allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ein negativer Testbefund (PCR-Test) vorliegen muss. Andernfalls ist die Teilnahme an Proben und Aufführungen nicht möglich.
Die Testung wurde durch die A. Staatsoper organisiert. Dabei wurden Nasen- Rachen-Abstriche durch medizinisch geschultes Personal des Klinikums I. in gesonderten Räumlichkeiten im Umfeld der Staatsoper kostenfrei durchgeführt. Alternativ konnten die Mitarbeiter selbst Testbefunde beibringen, wenn der Zeitpunkt des Abstrichs maximal vier Tage vor dem ersten Einsatz im Haus lag (vgl. Anlage B 2, Bl. 52 ff. d.A.).
Zum anderen sah das Hygienekonzept rollierende Folgetestungen (PCR-Tests) nach dem Stichprobenprinzip vor, die entweder im Haus (kostenfrei) oder extern auf eigene Kosten durchgeführt werden können. Die Folgetestungen für die Orchestermusiker (=rote Gruppe) sollten regelmäßig alle ein bis drei Wochen stattfinden.
Neben der Teststrategie erfolgte bereits noch vor der Sommerpause ein Umbau im Bühnenbereich der A. Staatsoper dergestalt, dass der Orchestergraben überbaut wurde.
Dadurch wurde eine Vergrößerung der Fläche von bislang 100 Quadratmetern auf 170 Quadratmetern ermöglicht. Zudem wurden beispielsweise W...