Entscheidungsstichwort (Thema)
Ausschlussfristen und Ortszuschlag
Leitsatz (amtlich)
1. Der Anspruch eines Arbeitnehmers auf den kinderbezogenen Ortszuschlag als Teil seines Gehalts gem. § 26 Abs. 1 lit. b) i. V. mit § 29 B Abs. 4 S. 1 BAT unterfällt der Ausschlussfrist des § 70 Abs. 1 BAT (im Anschluss an BAG vom 18. November 2004 – 6 AZR 512/03 – n. a. v.).
2. Etwas anderes kann nur gelten, wenn es ihm praktisch nicht möglich ist, seinen Anspruch geltend zu machen (im Anschluss an BAG vom 16. November 1989 – 6 AZR 114/88 – AP Nr. 8 zu § 29 BAT).
3. Auch die Anwendung von Ausschlussfristen fällt unter den Grundgedanken des § 242 BGB, wobei jedoch ihrem Zweck maßgebliche Bedeutung zukommt (im Anschluss an BAG vom 28. Januar 1970 – 4 AZR 153/69 – AP Nr. 1 zu § 70 BAT).
4. Eine Arbeitgeberin begeht allein deshalb noch keinen Verstoß gegen Treu und Glauben des § 242 BGB mit der Folge der Unanwendbarkeit der Ausschlussfrist des § 70 Abs. 1 BAT, weil sie ihm eine unzutreffende Auskunft über das Bestehen seines Anspruchs erteilt hat, denn dadurch ist er an dessen Geltendmachung in keiner Weise gehindert, wenn wie hier die bloße Schriftform, nicht die Klageerhebung, bei Kenntnis dessen Umfangs genügt.
Normenkette
BAT § 26 Abs. 1 lit. b, § 29 B Abs. 4 S. 1
Verfahrensgang
ArbG München (Urteil vom 12.07.2006; Aktenzeichen 2b Ca 732/06 H) |
Nachgehend
Tenor
1. Die Berufung des Klägers gegen dasEndurteil des Arbeitsgerichts München vom12. Juli 2006 – Gz.: 2b Ca 732/06 H – wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten der Berufung.
3. Gegen dieses Urteil wird die Revision zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte dem Kläger den kinderbezogenen Ortszuschlag für die Vergangenheit nachzahlen muss; im Kern geht es dabei allein darum, ob die Forderung des Klägers wegen § 70 BAT verfallen ist.
Der Kläger ist seit 1. April 1990 beim Rechtsvorgänger der Beklagten als Verwaltungsangestellter beschäftigt; auf das Arbeitsverhältnis kommt unstreitig der BAT zur Anwendung.
Er ist der Vater der Tochter P., die am 0.0.1981 und der Tochter J., die am 0.0.1984 geboren ist.
Ihm ist für seine Tochter P. bis 31. Dezember 2001 und für seine Tochter J. bis 31. Dezember 2004 von der Familienkasse Kindergeld gezahlt worden. Danach wurde für beide Töchter wegen entsprechend hohen Eigenverdienstes dieser Kinder von der Familienkasse zunächst kein Kindergeld mehr gezahlt; bei der Ermittlung des Einkommens dieser Kinder sind dabei die für diese angefallenen Sozialversicherungsbeiträge berücksichtigt worden. Auch die Beklagte reduzierte aus den gleichen Gründen seine Vergütung im Bereich des Ortszuschlages.
Nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 11. Januar 2005 (2 BvR 167/02 – NJW 2005, 1923) verstößt jedoch die Einbeziehung von Sozialversicherungsbeiträgen des Kindes in die Bemessungsgröße für den Jahresgrenzbetrag gem. § 32 Abs. 4 S. 2 EStG zulasten der unterhaltsverpflichteten Kinder gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG.
Die Familienkasse hat daraufhin für die Tochter P. für die Zeit vom 1. Januar 2002 bis 30. Juni 2003 und für die Tochter J. für die Zeit vom 1. bis 31. Januar 2005 das Kindergeld nachgezahlt.
Der Kläger hat mit Schreiben vom 14. August 2005, das am 16. August 2005 bei der Beklagten eingegangen ist, die Nachzahlung des kinderbezogenen Ortszuschlages als Teil seines Vergütungsanspruchs geltend gemacht. Es handelt sich dabei für die Tochter P. unstreitig für den Zeitraum vom 1. Januar 2002 bis 30. Juni 2003 bei einem monatlichen Betrag von EUR 86,70 um einen Betrag in Höhe von insgesamt EUR 1.560,60 und bei der Tochter J. für den Januar 2005 um einen Betrag in Höhe von EUR 90,57, zusammen also EUR 1.651,17.
Die Beklagte verweigert die Zahlung dieser Beträge unter Berufung auf die Versäumung der sechsmonatigen Ausschlussfrist des § 70 Abs. 1 BAT.
Der Kläger hat vor dem Arbeitsgericht vorgetragen,
der von ihm geltend gemachte Anspruch sei nicht gem. § 70 Abs. 1 BAT verfallen. Er habe von dem vorgenannten Beschluss des Bundesverfassungsgerichts erst Anfang August 2005 erfahren. Je kürzer eine Frist bemessen sei, desto größer seien die Anforderungen an ihre Anwendbarkeit und umso länger sei sie auszulegen. Sie könne nur Tatsachen umfassen, die für ihn nach der Parallelwertung in der Laiensphäre ohne große Schwierigkeiten erkennbar seien; „auf keinen Fall könnten komplizierte rechtliche Vorgänge einbezogen werden, welche sogar Bundesrichter – vom BVerfG wurde immerhin eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs aufgehoben – fehlerhaft beurteilt worden sei”. Es könne von einem einfachen Bürger wie ihm nicht verlangt werden, ständig Rat einzuholen, ob das Verhalten von Behörden und anderen Arbeitgebern rechtens sei. Dies werde „unterstrichen … z. B. auch dadurch, dass der europäische und ihm folgend der deutsche Gesetzgeber es nicht nur für vertretbar gehalten habe, dass die Gewährleistungsfrist im Kaufrecht nur sechs Monate betrug und die...