Entscheidungsstichwort (Thema)
ERA-Strukturkomponente
Leitsatz (amtlich)
1. Eine betriebliche Übung, derzufolge der tarifgebundene Arbeitgeber auf die Arbeitsverhältnisse die einschlägigen tarifvertraglichen Entgeltregelungen in ihrer jeweiligen Fassung anwendet, ist, wenn sie bereits vor dem 01.01.2002 bestand, wie eine Gleichstellungsabrede zu behandeln.
2. § 4 c des Tarifvertrags ERA-Anpassungsfonds in der bayerischen Metall- und Elektroindustrie vom 19.12.2003 gewährt den Arbeitnehmern einen Anspruch auf Auszahlung von ERA-Strukturkomponenten in Form von Einmalzahlungen.
3. In § 4 c des Tarifvertrags ERA-Anpassungsfonds in der bayerischen Metall- und Elektroindustrie in der Fassung vom 16.02.2004 ist bestimmt, dass der Auszahlungszeitpunkt und ggf. weitere Einzelheiten zwischen den Tarifvertragsparteien in den Entgeltabkommen 2006 festgelegt werden. Dadurch wird die künftige Tarifregelung – mit Rückwirkung – in den Tarifvertrag ERA-Anpassungsfonds in der Fassung vom 16.02.2004 einbezogen.
Ein Verbandsaustritt des Arbeitgebers nach Abschluss des Tarifvertrags ERA-Anpassungsfonds in der Fassung vom 16.02.2004, aber vor Abschluss der ergänzenden tariflichen Entgeltabkommen des Jahres 2006, berührt deshalb den bereits entstandenen Anspruch eines Arbeitnehmers auf die in § 4 c Tarifvertrag ERA-Anpassungsfonds geregelten Einmalzahlungen nicht.
4. Eine nachträgliche Anrechnung einer außerhalb einer aktuellen Lohnerhöhungsrunde von den Tarifvertragsparteien vereinbarten tariflichen Einmalzahlung auf übertarifliche Zulagen bzw. Entgeltbestandteile, die Teil des festgelegten und gezahlten Monatsgehalts sind, scheidet mangels eines darauf bezogenen – ausdrücklichen oder konkludenten – Anrechnungsvorbehalts aus. Dies gilt vor allem, wenn der Arbeitgeber lediglich anlässlich bestimmter Monatsentgelterhöhungen eine Anrechnung der Tariferhöhung auf das Monatsgehalt angekündigt und vollzogen hatte.
Normenkette
Tarifvertrag ERA-Anpassungsfonds in der bayerischen Metall- und Elektroindustrie vom 19.12.2003 § 4c; Ergänzungsvereinbarung zum Tarifvertrag ERA-Anpassungsfonds in der bayerischen Metall- und Elektroindustrie vom 28.04.2006 § 1; TVG §§ 3-4; BGB §§ 362, 387, 389
Verfahrensgang
ArbG München (Urteil vom 09.05.2008; Aktenzeichen 27 Ca 15234/07) |
Nachgehend
Tenor
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Endurteil des Arbeitsgerichts München vom 09.05.2008 – 27 Ca 15234/07 – wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
2. Die Revision wird für die Beklagte zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um einen Anspruch des Klägers auf Einmalzahlung, der seine Grundlage in einem auf das Arbeitsverhältnis anwendbaren Tarifvertrag hat.
Die Beklagte ist ein Unternehmen der Bayerischen Metallindustrie. Sie war bis 23.06.2005 Mitglied des Verbandes der Bayerischen Metall- und Elektroindustrie e. V. (VBM). Sie trat mit Schreiben vom 23.06.2005 aus diesem Verband aus. Der Kläger, der seit 01.09.1970 bei der Beklagten bzw. ihrer Rechtsvorgängerin als Partieführer/Beizer beschäftigt ist und im Zeitpunkt der Klageerhebung ein Bruttomonatsgehalt i. H. v. EUR 0,00 bezog, ist nicht Gewerkschaftsmitglied. Gleichwohl wurde auf sein Arbeitsverhältnis das Tarifwerk, geschlossen zwischen der IG Metall und dem VBM, angewandt, bis zum Wirksamwerden des Verbandsaustritts des Arbeitgebers in der jeweils geltenden Fassung.
In der Metall- und Elektroindustrie sollte nach dem Willen der Tarifvertragsparteien ein neues Tarifssystem zur einheitlichen Entgeltfindung für Arbeiter und Angestellte geschaffen werden. Diese neue Entgeltstruktur sollte in einem einheitlichen Entgeltrahmen – Abkommen (ERA) zusammengeführt werden. Die Verhandlungsergebnisse dieses Prozesses wurden in einem „Verhandlungsergebnis” vom 24.05.2002 und in einem weiteren „Verhandlungsergebnis” vom 16.02.2004 festgehalten. Im Verhandlungsergebnis vom 24.05.2002 legten die Tarifparteien fest, dass die Umstellung auf die ERA-Tarifverträge für die Arbeitgeber eine Mehrbelastung an Personalkosten von 2,79 % mit sich bringen werde (Ziff. 4.1, erster Spiegelstrich des Verhandlungsergebnisses vom 24.05.2002). Um diese Mehrbelastung zu kompensieren, wurden die Erhöhungen des Tarifvolumens auf zwei Komponenten aufgeteilt. Die eine Komponente sollte der dauerhaften Erhöhung der Tabellenwerte der Monatsentgelte dienen, also sofort entgeltwirksam werden. Die andere Komponente sollte in der ersten Tarifperiode (= erste Periode des jeweils neu erhöhten Tarifentgelts) als Einmalzahlungen ausbezahlt und in den nachfolgenden Tarifperioden zum Aufbau eines Fonds verwendet werden. In den Verhandlungsergebnissen vom 24.05.2002 und sodann vom 24.05.2004 legten die Tarifvertragsparteien fest, dass sich das Tarifvolumen mit Wirkung ab 01.06.2002 um insgesamt 4 % und mit Wirkung ab 01.06.2003 um weitere 3,1 % erhöhe. Die Löhne und Gehälter sollten sich demgegenüber ab 01.06. 2002 um lediglich 3,1 % und mit Wirkung ab 01.06.2003 um weitere 2,6 % erhöhen. Ab 01.03.2004...