Entscheidungsstichwort (Thema)
Benachteiligungsverbot in Allgemeinen Geschäftsbedingungen. Dienstunfähigkeitsrente bei beendetem Arbeitsverhältnis und Art. 12 Abs. 1 GG. Keine Doppelbelastung des Arbeitgebers aus dem Arbeitsverhältnis und der Dienstunfähigkeitsrente. Angemessenheitsprüfung einer Versorgungsregelung nach § 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB
Leitsatz (redaktionell)
1. Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen sind unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen Treu und Glauben unangemessen benachteiligen. Bei der dazu erforderlichen Interessenabwägung ist ein genereller typisierender, vom Einzelfall losgelöster Maßstab anzulegen. Dabei sind geschützte Rechtspositionen grundsätzlich zu beachten.
2. Wird in einer Versorgungszusage die Zahlung einer Rente wegen Dienstunfähigkeit nur gewährt, wenn das Arbeitsverhältnis beendet ist, greift diese Regelung in das geschützte Recht des Arbeitnehmers aus Art. 12 Abs. 1 GG ein. Denn er ist in seiner Entscheidung frei, ob er seine Beschäftigung aufgibt oder nicht. Die Berufsausübungsfreiheit erfolgt am gewählten Arbeitsplatz und umfasst Form, Mittel und Umfang der Ausgestaltung der Betätigung.
3. Durch eine Regelung in der Versorgungsordnung, dass Dienstunfähigkeitsrente erst gezahlt wird, wenn das Arbeitsverhältnis beendet ist, sollen Doppelbelastungen des Arbeitgebers vermieden werden. Da sich der arbeitsrechtliche Begriff der Arbeitsunfähigkeit und der sozialversicherungsrechtliche Begriff der Erwerbsminderung nicht decken, kann der voll erwerbsgeminderte Arbeitnehmer immer noch in der Lage sein, seine vertraglich geschuldete Arbeitsleistung eingeschränkt zu erbringen. Insoweit überwiegt das Interesse des Arbeitgebers und Versorgungsschuldners an einer Vermeidung der Doppelbelastung das Interesse des Arbeitnehmers aus seinem Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG.
4. Eine Regelung, die die Dienstunfähigkeitsrente erst nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses ermöglicht, verdeutlicht, dass die Versorgungszusage den Lebensstandard des Arbeitnehmers nach dem Ausscheiden aus dem Erwerbs- oder Berufsleben sichern und eine doppelte Inanspruchnahme des Arbeitgebers vermieden werden soll. Diese Risikoverteilung ist nicht unangemessen i.S.d. § 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB.
Normenkette
GG Art. 12 Abs. 1; BetrAVG § 1 Abs. 1; BGB § 307 Abs. 1, 2 Nr. 2; SGB VI § 102 Abs. 2 S. 1; AVB PK § 5 Abs. 1 Nr. 1 Fassung: 2019-01-01, § 6 Abs. 1 Fassung: 2019-01-01, § 8 Abs. 2 Fassung: 2019-01-01
Verfahrensgang
ArbG Augsburg (Entscheidung vom 28.11.2019; Aktenzeichen 5 Ca 1494/19) |
Nachgehend
Tenor
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Augsburg vom 28.11.2019 - 5 Ca 1494/19 - wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.
II. Die Revision wird für den Kläger zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Zahlung einer Dienstunfähigkeitsrente während des bestehenden Arbeitsverhältnisses.
Der am 1959 geborene Kläger war bei der Beklagten zu 1) bzw. ihren Rechtsvorgängerinnen auf der Grundlage des Arbeitsvertrags vom 16.11.1984 beschäftigt. Danach erhält der Kläger eine betriebliche Altersversorgung, die sich nach der für ihn maßgebenden Versorgungsordnung in ihrer jeweils gültigen Fassung richtet. Der Kläger wurde für die Dauer des Arbeitsverhältnisses Mitglied der "Pensionskasse der Mitarbeiter der E Aktiengesellschaft", sofern die satzungsmäßigen Voraussetzungen erfüllt sind.
Nach der für den Kläger zuletzt geltenden "Satzung und Allgemeine Versicherungsbedingungen" der Pensionskasse der Mitarbeiter der E-Gruppe, Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit, Stand 01.01.2019 (im Folgenden: AVB PK), wird neben der Alters- und vorgezogenen Altersrente eine Dienstunfähigkeitsrente gewährt, § 5 Abs. 1 Nr. 1 AVB PK. Im Übrigen enthalten die AVB PK auszugsweise folgende Regelungen (Anlage B2 = Bl. 109 ff. d. A.):
"§ 6 Allgemeine Leistungsvoraussetzungen
(1) Der Anspruch auf Kassenleistungen setzt voraus, dass das Beschäftigungsverhältnis beendet und die Wartezeit von fünf Mitgliedsjahren erfüllt ist.
...
§ 8 Dienstunfähigkeitsrenten
(1) Dienstunfähigkeitsrente wird für die Dauer der Dienstunfähigkeit, längstens bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres gezahlt. Nach Vollendung des 65. Lebensjahres wird ab dem Folgemonat Altersrente gemäß § 7 in gleicher Höhe gezahlt.
(2) Dienstunfähigkeit liegt vor, wenn das Mitglied ab Ende des Beschäftigungsverhältnisses voraussichtlich für die Dauer von mindestens einem Jahr infolge der Beeinträchtigung seiner körperlichen oder geistigen Leistungsfähigkeit nicht mehr im Stande ist, die Dienstobliegenheiten seiner Stellung bei der Firma zu erfüllen. Als Nachweis gilt der Rentenbescheid eines Trägers der gesetzlichen Rentenversicherung oder ein amtsärztliches Zeugnis über Erwerbsminderung oder Berufsunfähigkeit sowie ein werksärztliches Gutachten.
..."
Der Kläger erkrankte am 11.09.2017 arbeitsunfähig. Auf seinen Antrag vom 12.10.2017 wurde ihm durch Bescheid vom 15.01.2019 rückwirkend eine...