Entscheidungsstichwort (Thema)
Kündigungsschutzklage nur bei bestehendem Arbeitsverhältnis begründet. Konkludente Aufhebung des Arbeitsvertrages durch Abschluss eines Geschäftsführervertrages. Weiterbestehen des Arbeitsverhältnisses als Ausnahmetatbestand bei gleichzeitiger Geschäftsführertätigkeit. Auslegung von Willenserklärungen und arbeitsvertraglichen Verabredungen. Anhörung des Betriebsrats vor einer Kündigung. Inhalt der Unterrichtung des Betriebsrats vor einer Kündigung. Gesetzliche Definition des leitenden Angestellten
Leitsatz (redaktionell)
1. Eine Kündigungsschutzklage kann nur begründet sein, wenn zum Zeitpunkt der Kündigung ein Arbeitsverhältnis bestanden hat.
2. Der Abschluss eines Geschäftsführervertrages mit einem angestellten Mitarbeiter bedeutet in der Regel die konkludente Aufhebung des bisherigen Arbeitsverhältnisses.
3. Im Einzelfall ist es zulässig, dass nach dem übereinstimmenden Willen der Vertragsparteien das Arbeitsverhältnis neben dem Geschäftsführervertrag ruhend fortbesteht. Dieser Wille der Parteien muss klar und eindeutig erkennbar sein.
4. Verträge sind so auszulegen, wie die Parteien sie nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte verstehen mussten. Maßgeblich ist der wirkliche Wille der Vertragsparteien.
5. Nach § 102 Abs. 1 Satz 1 BetrVG ist der Betriebsrat vor jeder Kündigung anzuhören. Der Arbeitgeber hat ihm gem. § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG die Gründe für die Kündigung mitzuteilen.
6. Die notwendige Unterrichtung des Betriebsrats richtet sich nach dem Sinn und Zweck der Anhörung. Der Betriebsrat soll in die Lage versetzt werden, eine sachgerechte Überprüfung vorzunehmen und ggfs. auf die Willensbildung des Arbeitgebers Einfluss zu nehmen.
7. Die Definition des leitenden Angestellten ergibt sich aus § Abs. 5 Abs. 3 Satz 2 BetrVG. Die in dieser Vorschrift genannten Kriterien sind alternativ, nicht kumulativ zu verstehen.
Normenkette
BGB §§ 133, 157; BetrVG §§ 102, 5 Abs. 3; KSchG § 9
Verfahrensgang
ArbG München (Entscheidung vom 15.03.2018; Aktenzeichen 32 Ca 1421/17) |
Tenor
1. Auf die Berufung des Klägers wird das Endurteil des Arbeitsgerichts München vom 15. März 2018 - 32 Ca 1421/17 - in seinen Ziffern I. und II. unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen abgeändert.
2. Es wird festgestellt, dass das das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis aus dem Anstellungsvertrag vom 30.04.2002/05.05.2002 über die Beschäftigung als kaufmännischer Leiter der Beklagten durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 06.03.2017, zugegangen am 06.03.2017, nicht aufgelöst wird.
3. Es wird festgestellt, dass das das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis aus dem Anstellungsvertrag vom 30.04.2002/05.05.2002 über die Beschäftigung als kaufmännischer Leiter der Beklagten durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 14.03.2017, zugegangen am 17.03.2017, nicht aufgelöst wird.
4. Der Auflösungsantrag der Beklagten wird zurückgewiesen.
5. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen.
6. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten im Berufungsverfahren noch über die Frage, ob neben dem Dienstverhältnis des Klägers als Organgeschäftsführer der Beklagten zusätzlich ein Arbeitsverhältnis als kaufmännischer Leiter der Beklagten bestand sowie über die Rechtswirksamkeit zweier von der Beklagten höchstvorsorglich ausgesprochener ordentlicher Kündigungen und über den in der letzten mündlichen Verhandlung gestellten Auflösungsantrag.
Der zum Zeitpunkt der Klageerhebung 52 Jahre alte, verheiratete Kläger war seit dem 01.10.2002 zunächst aufgrund eines von der Beklagten am 30.04.2002 und vom Kläger am 05.05.2002 unterzeichneten Anstellungsvertrags (vgl. Anlage K 2, Bl. 24 f. d.A.) als kaufmännischer Leiter bei der Beklagten beschäftigt. Das monatliche Gehalt betrug € x.xxx,xx brutto und sollte sich anteilig zu den tariflichen Vereinbarungen zum Manteltarifvertrag erhöhen. Zudem erhielt der Kläger die vermögensbildenden Leistungen in Höhe von € xx,xx sowie eine Haushaltszulage in Höhe von € xx,xx.
Die Beklagte beschäftigt in ihrem Betrieb regelmäßig mehr als 10 Arbeitnehmer. Bei der Beklagten besteht seit ca. Mitte 2016 ein Betriebsrat.
Dem Abschluss des Anstellungsvertrags ging - neben einem Gespräch am 18.04.2002 zwischen dem Kläger und dem vormaligen Geschäftsführer der Beklagten, Herrn E. - nachfolgend dargestellter Schriftverkehr voraus:
Mit Schreiben vom 04.04.2002 (vgl. Anlage K 14, Bl. 211 d.A.) teilte die Beklagte unter dem Betreff "Einstellung als kaufmännischer Leiter und zur Nachfolge in der Geschäftsführung" dem Kläger unter anderem mit:
"... hat sich der Ausschuß des Aufsichtsrates unserer Gesellschaft am 03.04.2002 dafür ausgesprochen, Sie als kaufmännischen Leiter mit Wirkung ab dem 01.10.2002 und zur Nachfolge der Geschäftsführung mit Wirkung ab dem 01.01.2003 einzustellen.
Wie vereinbart werde ich Ihnen in den nächsten Tagen einen Entwurf des Anstellungsvertrages vorlegen. Nach grundsätzlicher Zustimmung durch S...