Entscheidungsstichwort (Thema)
Lohnfortzahlung bei Erkrankung. Zinsen auf Bruttolohn
Leitsatz (amtlich)
1. Der Anspruchszeitraum für Lohnfortzahlung bei Erkrankung gem. § 616 Abs. 2 BGB kann zwar durch Tarifvertrag abgekürzt werden, nicht aber durch einzelvertragliche Bezugnahme auf einen solchen Tarifvertrag.
2. Prozeßzinsen gem. § 291 BGB sind in Höhe von 4 % aus dem Bruttolohn geschuldet.
Normenkette
BGB § 616 Abs. 2 S. 2, §§ 291, 288 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG München (Urteil vom 08.12.1987; Aktenzeichen 2 Ca 6499/87) |
Tenor
1. Das Urteil des Arbeitsgerichts München vom 8.12.1987 – 2 Ca 6499/87 – wird im Zinsausspruch abgeändert und die Beklagte zur Zahlung von 4 % Zinsen aus DM 2.461,30 verurteilt.
2. Die Berufung wird hinsichtlich des Teilbetrages von DM 128,50 als unzulässig verworfen. Im übrigen werden Berufung und Anschlußberufung zurückgewiesen.
3. Die Klägerin trägt 7/8, die Beklagte 1/8 der Kosten des Berufungsverfahrens.
4. Die Revision wird, beschränkt auf den Anspruch auf Vergütung im Krankheitsfall, zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin ist Show-Tänzerin, die Beklagte betreibt das Cabaret … in …. Nach dem Arbeitsvertrag vom 24.3.1987 sollte die Klägerin vom 1. bis 30.4.1987 in diesem Lokal als Show-Tänzerin auftreten. In Ziffer 1 des Vertrages ist vereinbart, daß die gesamten Paragraphen und Bestimmungen des zur Zeit gültigen Tarifvertrages zwischen IVTCDV-Düsseldorf und den IAL Berufsverband SHOW + UNTERHALTUNG-Hamburg incl. des Zusatz-Tarifvertrages gelten sollen.
Die Klägerin war vom 7. bis 22.4.1987 arbeitsunfähig krank. Entsprechend § 20 des vorbezeichneten Tarifvertrages zahlte die Beklagte die vereinbarte Vergütung nur bis zum 13.4.1987. Mit der vorliegenden Klage macht die Klägerin ihre Vergütung für weitere 9 Tage bis 22.4.1987 mit DM 2.332,80 geltend.
Die Beklagte hat der Klägerin für die von ihr eingebrachte Berufskleidung einen Teil eines Regals zur Verfügung gestellt, das sich in einem verschließbaren Garderoberaum befindet. Am 23.4.1987 wurde festgestellt, daß die Garderobe der Klägerin teilweise zerschnitten und teilweise gestohlen war. Die Klägerin macht wegen Verletzung der Fürsorgepflicht Schadenersatz in Höhe von DM 9.550,– geltend.
Die Klägerin macht weiterhin geltend, sie habe einen Folgeschaden dadurch erlitten, daß sie ohne Garderobe nicht weiter bei der Beklagten auftreten konnte. Ihr sei dadurch ein Lohnausfall in Höhe von DM 2.073,60 entstanden.
Ein weiterer Folgeschaden ergebe sich aus dem gleichen Grund, weil sie einen Anschlußarbeitsvertrag in …, der ihr angeboten war, nicht annehmen konnte. Hierdurch sei ihr ein Verdienstausfall von DM 4.940,– entstanden.
Schließlich begehrt die Klägerin Reise- und Beförderungskosten in Höhe von DM 128,50.
Mit Urteil vom 3.12.1987, auf das wegen des Sachvortrags der Parteien im ersten Rechtszug, der von ihnen gestellten Anträge sowie wegen der rechtlichen Erwägungen des Erstgerichts Bezug genommen wird, hat das Arbeitsgericht München wie folgt erkannt:
- Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin DM 2.332,80 brutto (i.W. Zweitausenddreihundertzweiunddreißig 80/100 Deutsche Mark) und DM 128,50 netto (i.W. Einhundertachtundzwanzig 50/100 Deutsche Mark) nebst 4 % Zinsen aus dem sich insgesamt ergebenden Nettobetrag seit dem 11.06.1987 zu bezahlen.
- Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
- Von den Kosten des Verfahrens trägt die Klägerin 7/8, die Beklagte 1/8.
- Der Streitwert wird auf DM 19.024,90 festgesetzt.
Das Erstgericht ist im wesentlichen der Auffassung, die Beklagte könne sich wegen der Lohnfortzahlung im Krankheitsfalle nicht auf § 20 des im Arbeitsvertrag in Bezug genommenen Tarifvertrages stützen, weil § 616 Abs. 2 Satz 2 BGB keine einzelvertragliche Abdingung des Lohnfortzahlungszeitraumes gestatte. Spesenersatz stehe der Klägerin zu, weil die Beklagte den Ausführungen der Klägerin zuletzt nicht mehr entgegengetreten sei. Ersatzansprüche auf Erstattung der Garderobe und Fortzahlung der Vergütung sowie entgangener Vergütung in Luxemburg seien nicht begründet, weil die Klägerin nicht behaupte, die Beklagte selbst habe die Garderobe und eine schuldhafte Verletzung der Fürsorgepflicht sei nicht nachgewiesen.
Gegen dieses der Beklagten am 22.2.1988 zugestellte Urteil richtet sich ihre Berufung vom 16.3.1988, die am 17.3.1988 bei Gericht einging und – nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis 17.5.1988 – an diesem Tag begründet wurde.
Die Beklagte trägt zur Berufung im wesentlichen vor, es sei zwar umstritten, inwieweit durch Verweisung auf Tarifrecht tarifdispositives Gesetzesrecht abbedungen werden könne. Wenn – wie vorliegend – eine einschlägige tarifvertragliche Regelung insgesamt in Bezug genommen werde, die bei Tarifbindung für den Betrieb gelten würde, sei dies aber zulässig, um eine Vereinheitlichung der Arbeitsvertragsbedingungen zu ermöglichen. § 616 Abs. 2 BGB schließe dies nach seinem Wortlaut nicht aus. Die Vorschrift sei historisch gewachsen, weshalb seine Auslegung nicht anhand anderer gesetzlicher Tariföffnungsbestimmungen w...