Entscheidungsstichwort (Thema)
Beteiligungsrechte des Betriebsrats für Arbeitnehmer in anderen Betrieben des Unternehmens. Leitungsstruktur als maßgebliche Abgrenzung für einen Betriebsteil. Zuordnung von Arbeitnehmern zu einem Betriebsteil trotz Tätigkeit im Hauptbetrieb
Leitsatz (amtlich)
1. Es ist nicht grundsätzlich ausgeschlossen, dass dem am Standort Hannover eines Unternehmens gebildeten Betriebsrat auch Beteiligungsrechte nach §§ 87, 99, 102 BetrVG bezüglich solcher Arbeitnehmer zustehen können, die ihre Tätigkeit am Sitz des Unternehmens in Stuttgart ausüben, auch wenn dort ebenfalls ein Betriebsrat gebildet ist.
2. Maßgeblich ist für die Abgrenzung eines Betriebsteils auf die Leitungsstruktur abzustellen. Dem hat die Abgrenzung der Zuständigkeit des am Betriebsteil gewählten Betriebsrats zu entsprechen.
3. Wird die Arbeitsleistung wesentlich im Wege spezieller elektronischer Entwicklungsarbeiten und Kommunikation erbracht, können auch Arbeitnehmer, die räumlich im Hauptbetrieb untergebracht sind, dennoch der organisatorischen Einheit des Betriebsteils zuzuordnen sein.
Normenkette
BetrVG §§ 102, 87 Abs. 1 Nrn. 2-3, 7, 10, §§ 99, 4 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Hannover (Entscheidung vom 06.12.2018; Aktenzeichen 4 BV 14/18) |
Nachgehend
Tenor
Die Beschwerde der Beteiligten zu 2) gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts A-Stadt vom 06.12.2018 - 4 BV 14/18 - wird zurückgewiesen mit der Maßgabe, dass zu Ziff. 1. dem Antragsteller Beteiligungsrechte nach §§ 99, 102, 87 Abs. 1 Nr. 2, 3, 7, 10 BetrVG zustehen.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten über Beteiligungsrechte des am Standort A-Stadt der Beteiligten zu 2) gewählten Betriebsrates bezüglich 6 Arbeitnehmern, die Betriebsräumlichkeiten der Beteiligten zu 2) in C-Stadt nutzen.
Geschäftsfeld der Beteiligten zu 2) ist die Entwicklung und der Vertrieb von Software für die Automobilindustrie. Sie ist Teil eines internationalen Konzerns, dessen Europazentrale in Frankreich ansässig ist. Das Unternehmen der Beteiligten zu 2) ist in den letzten 20 Jahren, insbesondere auch durch Übernahme anderer Unternehmen, in erheblichem Tempo gewachsen. Es bestehen zurzeit 19 Standorte in Deutschland mit über 700 Arbeitnehmern.
In A-Stadt hat bis zum Jahr 2010 die I Technologies GmbH bestanden. Diese wurde im Mai 2010 auf die Beklagte verschmolzen (Verschmelzungsvertrag Bl. 13 bis 19 d. A.). Die Mitarbeiter wurden mit Schreiben vom 17.06.2010 (Bl. 20 bis 22 d. A.) über den Übergang ihres Arbeitsverhältnisses informiert. Bei der I Technologies GmbH hatte ein Betriebsrat bestanden. In § 3 Ziff. 6 des Verschmelzungsvertrages heißt es:
"Die derzeitigen Betriebsräte von I und D bleiben nach der Verschmelzung als örtliche Betriebsräte der D mit den bisherigen Zuständigkeiten bestehen. Es ist ein Gesamtbetriebsrat zu bilden..."
In dem Anhörungsschreiben an die Mitarbeiter heißt es unter Ziff. 6 wie folgt:
"Der derzeit für ihr Arbeitsverhältnis zuständige Betriebsrat der I Technologies GmbH bleibt im Amt. Er wird unverändert für die Betriebsstätten in A-Stadt, B. und H. zuständig sein. ..."
Die I Technologies GmbH hatte ein kleines Büro in H. bei C-Stadt betrieben, das betriebsverfassungsrechtlich dem Betrieb in A-Stadt zugeordnet war. Dieses Büro wurde im Jahr 2012 aufgelöst. Ein Mitarbeiter ging in den Ruhestand, die weiteren drei Mitarbeiter üben seither ihre Tätigkeit in den Geschäftsräumen der Beteiligten zu 2) in C-Stadt - V aus. Nach damals gemeinsamer Vorstellung der Personalverwaltung der Beteiligten zu 2) und des Betriebsrates in A-Stadt sollten diese drei Mitarbeiter weiterhin durch den Betriebsrat A-Stadt vertreten werden (vgl. dazu E-Mail von Frau M. vom 30.01.2012, Bl. 23 d. A.). In der Folgezeit wurden in diesem Tätigkeitsbereich weiter Herr D, Frau R. und Herr Z. eingestellt. Bei der Einstellung des Herrn D. ist sowohl der Betriebsrat A-Stadt als auch der Betriebsrat C-Stadt beteiligt worden, bzgl. Herrn Z. und Frau R. ist lediglich der Betriebsrat in C-Stadt angehört worden.
Anlässlich der turnusgemäßen Betriebsratswahlen im Frühjahr 2018 waren die genannten 6 Mitarbeiter auf den Wählerlisten sowohl am Standort A-Stadt als auch am Standort C-Stadt verzeichnet. Die Beteiligte zu 2) hat mit E-Mail vom 05.04.2018 (Bl. 7 d. A.) gegenüber dem Wahlvorstand geltend gemacht, die 6 Mitarbeiter seien ausschließlich in C-Stadt wahlberechtigt, nicht aber am Standort A-Stadt. Gleichwohl ist die Wahl in A-Stadt unverändert durchgeführt worden. Die Beteiligte zu 2) hat mit weiterem Schreiben vom 04.05.2018 (Bl. 9 und 10 d. A.) erklärt, sie verzichte auf eine Anfechtung der Wahl, erkenne jedoch die Zugehörigkeit dieser 6 Mitarbeiter zum Betrieb A-Stadt nicht an.
Etwa im gleichen Zeitraum haben sich Meinungsverschiedenheiten entwickelt über die für die 6 Mitarbeiter geltenden Arbeitszeitregelungen. Im Betrieb in C-Stadt und im Wesentlichen auch an den anderen Standorten gilt Vertrauensarbeitszeit. Für den ...