Entscheidungsstichwort (Thema)
Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrags
Leitsatz (amtlich)
Innerbetriebliche Umkleide- und Wegezeiten gehören nicht zu der zu bezahlenden geleisteten Arbeit im Sinne des § 12.1.1 des Manteltarifvertrages zwischen der VW AG und der IG Metall Bezirksleitung Niedersachsen und Sachsen-Anhalt (MTV VW) vom 18.12.2008.
Leitsatz (redaktionell)
Bei der Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrages ist zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen, wobei der maßgebliche Sinn der Erklärung zu erforschen ist, ohne am Buchstaben zu haften. Bei nicht eindeutigem Tarifwortlaut ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien mit zu berücksichtigen, soweit er in den tariflichen Normen seinen Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist ferner auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefern und nur so der Sinn und Zweck der Tarifnorm ermittelt werden kann.
Normenkette
MTV VW § 12.1.1 Fassung: 2008-12-18, § 28.2 Fassung: 2008-12-18; ArbZG § 2 Abs. 1 S. 1; BGB § 611a Abs. 1; MTV VW § 7.1.2.1. Abs. 4; MTV VW § 7.1.2.5.1
Verfahrensgang
ArbG Hannover (Entscheidung vom 11.10.2019; Aktenzeichen 8 Ca 61/19) |
Nachgehend
Tenor
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgericht Hannover vom 11.10.2019 (8 Ca 61/19) wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
2. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Vergütung von Umkleide- und innerbetrieblichen Wegezeiten.
Der Kläger ist Mitglied der Gewerkschaft IG-Metall. Er trat 1991 in die Dienste der Beklagten, die ihn zuletzt als Werkzeugmechaniker in deren P. in H-Stadt mit einem monatlichen Bruttogehalt von mindestens 4.224,00 € beschäftigte.
Im aktuellen Arbeitsvertrag ist unter der Überschrift "Arbeitszeit" Folgendes geregelt:
"Ihre durchschnittliche Wochenarbeitszeit wird durch die jeweils gültigen Tarifverträge geregelt...
Die Lage der Arbeitszeit richtet sich nach den betrieblichen Regelungen, die für die Abteilung gelten, in der Sie eingesetzt sind"
Unter der Überschrift "Schlussbestimmung" ist geregelt:
"Im übrigen gelten die einschlägigen, gesetzlichen, tarifvertraglichen und betrieblichen Regelungen einschließlich der Arbeitsordnung in ihrer jeweils gültigen Fassung."
In dem zum 01.01.2009 in Kraft getretenen Manteltarifvertrag zwischen der Beklagte und der IG Metall Bezirksleitung Niedersachsen und Sachsen-Anhalt (MTV V.; Anlage B 11, Bl. 397 - 458 d. A.) heißt es u. a.:
"§ 6 Arbeitszeit
...
6.3 Arbeitszeitverteilung
6.3.1
...
Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit einschließlich der Pausen sowie die Verteilung der wöchentlichen Arbeitszeit auf die einzelnen Wochentage - in der Regel von Montag bis Freitag - werden mit dem Betriebsrat vereinbart.
§ 7 Arbeitszeitflexibilität / Mehrarbeit
7.1 Grundsätze
...
7.1.2 Mehrarbeit
7.1.2.1 Mehrarbeit liegt vor, wenn die im Rahmen der Verteilung der tariflichen wöchentlichen Arbeitszeit jeweils festgelegte tägliche und wöchentliche Arbeitszeit überschritten wird. Mehrarbeit wird nur vergütet, wenn sie von der/dem zuständigen Vorgesetzten angeordnet ist.
Es werden jedoch nur volle ¼ Stunden verrechnet.
Grundsätzlich wird Mehrarbeit durch bezahlte Freistellung von der Arbeit ausgeglichen.
...
§ 12 Entgeltregelungen
12.1 Grundsätze
12.1.1 Bezahlt wird geleistete Arbeit und Arbeitsbereitschaft, es sei denn, dass durch Tarifverträge andere Regelungen getroffen sind.
...
§ 28 Sonstiges
...
28.2 Beschäftigte, die besonders schmutzige Arbeiten verrichten, erhalten täglich eine bezahlte Waschzeit bis zu 20 Minuten, die innerhalb der täglichen Arbeitszeit liegt. In der Regel beträgt sie zum Beispiel bei Hertha, Lackspritzen und Schleifen in der C. 10 Minuten und bei Beschäftigten in der G. 20 Minuten.
Mit dem Betriebsrat kann vereinbart werden, dass zur Auslastung der betrieblichen Anlagen die festgelegte Waschzeit unmittelbar im Anschluss an die tägliche Arbeitszeit gelegt wird. Sie wird nicht auf die Mehrarbeitsbegrenzung des § 7.1.2.2 angerechnet.
...
§ 30 Beilegung von Meinungsverschiedenheiten
30.1 Rechtsstreitigkeiten
30.1.1 bei Rechtsstreitigkeiten zwischen
V. und Beschäftigten
sowie
V. und Betriebsrats/Gesamtbetriebsrat,
die sich aus Anwendung, Auslegung oder Durchführung der Tarifverträge ergeben, ist zwischen der vom Vorstand bestimmten Stelle und dem Betriebsrat oder Gesamtbetriebsrat eine Einigung zu versuchen.
Kommt eine Einigung nicht zustande, so sollen die beiderseitigen Vertreter der Tarifvertragsparteien hinzugezogen werden. Wird auch hier keine Einigung erzielt so steht der Rechtsweg offen. ..."
In der bei der Beklagten bestehenden Gesamtbetriebsvereinbarung Nr. 1/77 zur Arbeitsordnung vom 03.06.1977 (Anlage B 8, Blatt 333 - 351) heißt es:
"§ 6 Arbeitszeit
Die Dauer der Arbeitszeit richtet sich nach den gesetzlichen und tariflichen Bestimmungen. Beginn und Ende der tariftäglichen Arbeitszeit und der Pausen werden mit dem Betriebsrat vereinbart. Entsprechendes gilt für A...