Entscheidungsstichwort (Thema)
Schulungsgedingter Freizeitausgleich für teilzeitbeschäftigtes Mitglied einer Mitarbeitervertretung der evangelischen Kirche in Niedersachsen
Leitsatz (amtlich)
1. Ein teilzeitbeschäftigtes Mitglied der Mitarbeitervertretung, das durch die Teilnahme an einer Schulung im Sinne von § 19 Abs. 3 des Kirchengesetzes der Konföderation Evangelischer Kirchen in Niedersachsen über Mitarbeitervertretungen (Mitarbeitervertretungsgesetz MVG) i. d. F. der Bekanntmachung vom 06. März 1996 (MVG K), über seine regelmäßige Arbeitszeit hinaus beansprucht wird, hat einen Anspruch auf Freizeitausgleich.
2. Der entsprechende Freizeitausgleichsanspruch folgt aus § 611 BGB i. V. m. § 4 Abs. 1 Satz 1 TzBfG, dessen Anwendungsbereich unbeschadet der Verfassungsgarantie des Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 3 WRV aufgrund der getroffenen Rechtswahl des privatrechtlich gestalteten Arbeitsverhältnisses eröffnet ist; die Ungleichbehandlung gegenüber Vollzeitbeschäftigten ist nicht Konsequenz der Ausgestaltung des Amtes eines Mitarbeitervertreters als unentgeltliches Ehrenamt. Sie entspricht nicht einem echten Bedarf und ist zur Erreichung des verfolgten Ziels nicht erforderlich.
Normenkette
EvKiKonfödArbVtrRL ND; EvKiMAVertrG ND § 19 Abs. 3; GG Art. 140; TzBfG § 4 Abs. 1 S. 1; WRV Art. 137 Abs. 3; BGB § 611 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Braunschweig (Entscheidung vom 23.02.2016; Aktenzeichen 8 Ca 216/15) |
Nachgehend
Tenor
1) Die Berufung des beklagten Vereins gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Braunschweig vom 23.02.2016 - 8 Ca 216/15 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
2) Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über einen Anspruch auf Freizeitausgleich einer teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmerin wegen der Teilnahme an einem ganztägigen Lehrgang.
Der beklagte Verein ist ein diakonisches Unternehmen, das in den Geltungsbereich des MVG-K fällt. Die Klägerin ist Mitglied der dortigen Mitarbeitervertretung. Sie ist teilzeitbeschäftigt. Mit Zustimmung des Beklagten nahm sie in der Zeit vom 18.05. bis zum 22.05.2015 an einem Rhetorikseminar teil. Über die Vermittlung erforderlicher Kenntnisse für die Tätigkeit in der Mitarbeitervertretung besteht zwischen den Parteien kein Streit. Die tägliche Seminarzeit ging über die übliche Arbeitszeit der Klägerin hinaus. Insgesamt brachte sie 13,5 Stunden an Freizeit ein. Dafür begehrt sie Freizeitausgleich. Der Beklagte lehnte ab. Er verwies auf die Ehrenamtlichkeit der Tätigkeit in der Mitarbeitervertretung.
Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, ihr stünden 13,5 Stunden Freizeitausgleich zu. Zwar sehe das MVG-K einen solchen Anspruch nicht vor. Der Anspruch ergebe sich aber aus § 611 BGB iVm. § 4 Abs. 1 Satz 1 TzBfG. Sachliche Gründe, vollzeitbeschäftigten Mitgliedern der Mitarbeitervertretung bei Teilnahme an Fortbildungsveranstaltungen während eines ganzen Arbeitstages die volle Vergütung zu zahlen, während Teilzeitbeschäftigte hier nur die übliche Teilvergütung erhielten, gebe es nicht. Unerheblich sei, dass die Tätigkeit in der Mitarbeitervertretung ehrenamtlich ausgeübt werde. Eine Ungleichbehandlung Teilzeitbeschäftigter sei nur gerechtfertigt, wenn sie einem echten Bedarf entspreche und zur Erreichung des verfolgten Zwecks geeignet und erforderlich sei. Daran fehle es.
Die Klägerin hat beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, der Klägerin für die außerhalb ihrer persönlichen Arbeitszeit liegenden Anteile der Mitarbeitervertretungsschulung vom 18.05. bis 22.05.2015 "Die Kunst, Redesituationen zu gestalten - Ein Rhetorikseminar für MAV‚ler/innen, Teil 2" Freizeitausgleich in Höhe von 13,5 Stunden unter Fortzahlung der Vergütung und ohne Anrechnung des Urlaubs zu gewähren.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hat gemeint, zum Ausgleich von Zeiten der Schulungsteilnahme, die über die persönliche Arbeitszeit hinausgingen, nicht verpflichtet zu sein.
Das Arbeitsgericht hat der Klage in vollem Umfang stattgegeben. Es hat sich in den tragenden Gründen auf die grundlegende Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 29.10.2014 (17 Sa 392/14, juris Rn. 29 ff.) zu derselben Rechtsfrage in einem gleichgelagerten Fall gestützt. Das Arbeitsgericht hat die Berufung zugelassen.
Gegen dieses ihm am 26.02.2016 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 29.03.2016, Dienstag nach Ostermontag, Berufung eingelegt und diese am 26.04.2016 begründet. Zwar erwerbe ein vollzeitbeschäftigtes Mitglied der Mitarbeitervertretung bei einer ganztägigen Fortbildungsveranstaltung einen höheren Vergütungsanspruch als ein teilzeitbeschäftigtes Mitglied. Dies sei aber Resultat der Ehrenamtlichkeit der Mitgliedschaft in der Mitarbeitervertretung. Die Mitglieder der Mitarbeitervertretung erhielten keine Amtsvergütung. Ihre Tätigkeit stelle keine zu vergütende Arbeitsleistung dar. Es gelte ausschließlich das Lohnausfallprinzip, welches verhindere, dass die ...