Entscheidungsstichwort (Thema)

Ausschluss einer Sonderleistung durch nachwirkende freiwillige Betriebsvereinbarung aufgrund tarifvertraglicher Öffnungsklausel. Vorverlegung der Fälligkeit einer tariflichen Sonderleistung aufgrund betrieblicher Übung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Aus der Bezeichnung einer Betriebsvereinbarung als freiwillig ergibt sich kein Verlust, ihre Nachwirkung zu vereinbaren.

2. Die Fälligkeit einer tariflichen Sonderleistung kann durch betriebliche Übung vorgezogen werden.

 

Normenkette

BGB § 661; BRTV Bau § 14 Abs. 1; TV § 6 Abs. 1; TVG §§ 1, 4 Abs. 4; TV-Sonderzahlung-Bau § 6 Abs. 1; BGB §§ 151, 242, 611 Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Nienburg (Entscheidung vom 22.11.2012; Aktenzeichen 2 Ca 307/12)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 05.05.2015; Aktenzeichen 1 AZR 810/13)

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Nienburg vom 22. November 2012 - 2 Ca 307/12 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Höhe des dem Kläger zustehenden 13. Monatsentgeltes. Hinsichtlich des erstinstanzlichen Vorbringens einschließlich der Anträge sowie der Würdigung, die jenes Vorbringen dort erfahren hat, wird auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils (Bl. 36 bis 46 d. A.) Bezug genommen.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Es hat ausgeführt: Die Zahlung eines höheren 13. Monatseinkommens als von der Beklagten geleistet stehe dem Kläger nicht zu, denn die Beklagte und der Betriebsrat hätten zulässigerweise von der tarifvertraglich eröffneten Möglichkeit Gebrauch gemacht, die Höhe durch eine freiwillige Betriebsvereinbarung auf 780,00 Euro zu begrenzen. Die Betriebsvereinbarung sei zwar gekündigt gewesen, wirke jedoch nach, weil dies zulässigerweise vereinbart worden sei. Dass die Öffnungsklausel des Tarifvertrages ausdrücklich nur den Abschluss von freiwilligen Betriebsvereinbarungen zulasse, schließe die Möglichkeit nicht aus, deren Nachwirkung zu vereinbaren. Besondere Regelungen, die einer Nachwirkung entgegenstehen könnten, etwa den Ausschluss des Einigungsstellenverfahrens, enthalte die Öffnungsklausel nicht. Es sei auch nicht ersichtlich, weshalb freiwillige Betriebsvereinbarungen, die auf der Grundlage einer tariflichen Öffnungsklausel abgeschlossen würden, generell anders zu behandeln seien als freiwillige Betriebsvereinbarungen ohne Zusammenhang mit tariflich geregelter Rechtsmaterie. Die betroffenen Arbeitnehmer seien nicht schutzlos, denn es bestehe die Möglichkeit, gegebenenfalls mit Hilfe der Einigungsstelle, auf eine andere Regelung hinzuwirken. Auch der hilfsweise geltend gemachte Anspruch auf Zahlung von 244,00 Euro bestehe nicht. Die Beklagte habe das 13. Monatseinkommen wegen der Arbeitsunfähigkeit des Klägers gemäß § 2 Abs. 7 des Tarifvertrages kürzen dürfen. Die Betriebsvereinbarung treffe insofern keine abweichenden Regelungen. Sie sei nicht so auszulegen, dass jedem Arbeitnehmer ein Mindestbetrag von 780 Euro zustehen solle.

Gegen das ihm am 13. Dezember 2012 zugestellte Urteil hat der Kläger am 8. Januar 2013 Berufung eingelegt und diese am 11. Februar 2013 begründet.

Die Berufung bestreitet das Vorliegen eines wirksamen Betriebsratsbeschlusses für den Abschluss der Betriebsvereinbarung einschließlich der Nachwirkungsklausel und meint: Die in der Betriebsvereinbarung geregelte Nachwirkung sei nicht mehr von der Erlaubnis der Tarifvertragsparteien gedeckt. Die Worte "freiwillige Betriebsvereinbarung" in der tariflichen Öffnungsklausel untersagten es den Betriebsparteien, die Betriebsvereinbarung mit einer Nachwirkung zu versehen. Der Betriebsrat habe nicht gezwungen werden sollen, zu Lasten der Arbeitnehmer auf tarifvertragliche Leistungen länger zu verzichten als in der Betriebsvereinbarung vorgesehen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Nienburg vom 22. November 2012 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an ihn 457,85 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil nach Maßgabe ihres Schriftsatzes vom 15. April 2013 und meint, der Tarifvertrag enthalte keine Einschränkung in Bezug auf den Abschluss einer Betriebsvereinbarung nebst Nachwirkungsklausel. Es bestehe auch kein Erfordernis für ein entsprechendes Verbot, weil der Inhalt der Betriebsvereinbarung nicht einseitig vom Arbeitgeber festgelegt werde. Die Nachwirkung sei erst durch den Abschluss eines gerichtlichen Vergleichs mit Ablauf des 27. November 2012 beendet worden. Im Übrigen wäre der Anspruch des Klägers auch verfallen. Die tarifliche Ausschlussfrist von zwei Monaten sei nicht eingehalten worden. Nach den tariflichen Bestimmungen sei die Forderung zur Hälfte mit den Arbeitsentgelten für November 2011 und für April 2012 fällig gewesen, mithin am 15. Dezember 2011 und am 15. Mai 2012. Die Beklagte habe jedoch stets den Gesamtbetrag mit dem Novemberentgelt au...

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