Entscheidungsstichwort (Thema)

Zur Zulässigkeit einer tariflich festgelegten Sonderzahlung in Abhängigkeit von der Mitgliedschaft zu einer bestimmten Gewerkschaft. Differenzierungsklausel

 

Leitsatz (amtlich)

Einfache tarifliche Differenzierungsklauseln verstoßen nicht zwingend gegen die negative Koalitionsfreiheit des Art. 9 Abs. 3 GG. Sie können im Einzelfall zulässig sein.

Die Zahlung einer Ausgleichsleistung ausschließlich an Ver.di-Mitglieder gemäß § 3 Abs. 1 TV AStD AGH für den befristeten Wegfall einer tariflichen Sonderzahung im Rahmen eines Sanierungstarifvertrages verstößt nicht gegen Artikel 9 Abs. 3 GG.

Rspr.: LAG Niedersachsen, 11.12.2007, 5 Sa 914/07 = BAG, 18.03.2009, 4 AZR 64/08

 

Normenkette

TVAStD; AGH; BGB § 611; TVG §§ 1, 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1; GG Art. 9 Abs. 3

 

Verfahrensgang

ArbG Hannover (Urteil vom 26.10.2007; Aktenzeichen 8 Ca 231/07)

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Hannover, Az. 8 Ca 231/07, vom 26.10.2007 abgeändert und die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger zu tragen.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Verpflichtung der Beklagten, eine tarifliche Sonderzahlung in Höhe von 535,– EUR brutto zu zahlen.

Der Kläger ist seit 01.04.1984 bei der Beklagten auf der Grundlage eines Arbeitsvertrages vom 08.04.1991 (Bl. 6, 7 d. A.) beschäftigt.

Der Kläger ist in die Tarifgruppe 05 C Lebensalterstufe 41 eingruppiert. In Ziffer 1 Abs. 2 des Arbeitsvertrages ist geregelt:

„Für das Arbeitsverhältnis gelten die für den Arbeitgeber geltenden Tarifverträge in der jeweils gültigen Fassung, soweit im Folgenden nichts anderes vereinbart ist.”

Die Beklagte gehört zur A-Gruppe A-Stadt, die mit der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) Landesbezirk Niedersachsen/Bremen am 20.12.2006/02.01.2007 verschiedene Firmentarifverträge abgeschlossen hat. Die Beklagte wendet die tariflichen Regelungen auf alle bei ihr bestehenden Arbeitsverhältnisse mit nicht-leitenden Mitarbeitern an. Nach § 19 des Tarifvertrages AGH (im Folgenden TV AGH) haben Beschäftigte unter den dort genannten Voraussetzungen Anspruch auf eine Jahressonderzahlung, die je nach Entgeltgruppe 60 bis 90 % eines durchschnittlichen Bruttomonatsverdienstes beträgt. In dem Tarifvertrag zum Ausgleich des strukturellen Defizits der A-Gruppe A-Stadt (im Folgenden TV AstD AGH) trafen die Tarifvertragsparteien u. a. folgende Regelungen:

„§ 2 Außerkraftsetzen von § 19 TV AGH

§ 19 TV AGH vom 01. Januar 2007 wird durch diesen Tarifvertrag zum Ausgleich des strukturellen Defizits (TV AstD AGH) unter Beachtung der Regelungen in den folgenden Paragraphen außer Kraft gesetzt.

§ 3 Ausgleichszahlungen für die ver.di-Mitglieder

(1) Als Ersatzleistung wegen des Verzichts auf die Sonderzahlungen gemäß § 19 TV AGH erhalten Beschäftigte, die ver.di-Mitglieder sind, in jedem Geschäftsjahr zum 31. Juli eine Ausgleichszahlung in Höhe von 535 EUR brutto je Vollzeitkraft gemäß tariflicher Wochenarbeitszeit.

(2) Teilzeitbeschäftigte erhalten die Ausgleichszahlung anteilig.

(3) Diese Ausgleichszahlung erhalten Beschäftigte, die ihre Mitgliedschaft in der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) für die zurückliegenden drei Monate bis zum Auszahlungstag glaubhaft zum 30. Juni des Auszahlungsjahres nachgewiesen haben.”

Die jeweils zum 01.01.2007 in Kraft getretenen Tarifverträge sind frühestens zum 31.12.2009 kündbar, wobei der TV AstD AGH unter Ausschluss der Nachwirkung unter besonderen Voraussetzungen für maximal 2 Jahre verlängerbar ist.

Der Kläger ist nicht Mitglied der Gewerkschaft ver.di. Eine Ausgleichszahlung nach § 3 TVG AstD AGH für das Jahr 2007 erfolgte nicht.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, dass die tarifliche Differenzierungsklausel in § 3 TV AstD AGH insbesondere wegen Verstoßes gegen das Grundrecht der Vertrags- und negativen Koalitionsfreiheit unwirksam sei. Ihm stehe daher ein Anspruch auf die Ausgleichszahlung trotz nichtbestehender Tarifbindung zu.

Der Kläger hat beantragt,

festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihm ab dem Jahr 2007 für jedes Geschäftsjahr, fällig jeweils zum 31.07. eines Kalenderjahres, eine Ausgleichszahlung in Höhe von 535,– EUR brutto gem. § 3 Abs. 1 TV AstD AGH zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat die Auffassung vertreten, die Differenzierung der Ausgleichszahlung nach der Gewerkschaftszugehörigkeit sei rechtswirksam. In Abwägung der grundrechtlich geschützten Interessen sämtlicher Beteiligter führe die tarifliche Differenzierungsklausel angesichts der Sanierungssituation der Beklagten nicht zu deren Unwirksamkeit. Die Pauschalierung auf einen einheitlichen Betrag sei notwendig und angemessen, um die Beklagte nicht unverhältnismäßig mit Personalkosten zur Berechnung des jeweils individuellen Gewerkschaftsbeitrages zu belasten.

Die Beklagte hat behauptet, die tarifschließende Gewerkschaft habe die Ausgleichszahlung zur Voraussetzung für den Abschluss des Sanierungstarifvertrages gemacht. Lediglich i...

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