Entscheidungsstichwort (Thema)
Berechnung der Überlassungshöchstdauer in der Zeitarbeit. Keine Anwendung des § 191 BGB bei der Berechnung der Überlassungshöchstdauer. Anrechenbare Einsatzzeiten bei der Ermittlung der Überlassungshöchstdauer. Keine Fiktion eines Arbeitsverhältnisses bei widerspruchsloser Weiterarbeit des Leiharbeitnehmers beim Verleiher. Primäre und sekundäre Darlegungslast für eine Fiktion nach §§ 9 Abs. 1 Nr. 1b, 10 Abs. 1 AÜG. Verwirkung als Sonderfall der unzulässigen Rechtsausübung
Leitsatz (amtlich)
1. Für die Berechnung der Überlassungshöchstdauer ist auf den Beginn des jeweils letzten Einsatzes eines Leiharbeitenden abzustellen; entsprechend § 187 Abs. 2 BGB ist der 1. Tag des Einsatzes bei der Fristbestimmung vollständig mit einzubeziehen.
2. Das Ende der Überlassung ist entsprechend § 188 Abs. 2 2. Alternative BGB zu bestimmen.
3. § 191 BGB ist bei der Berechnung der Überlassungshöchstdauer weder bei ununterbrochenen noch bei unterbrochenen Überlassungen anwendbar.
4. Weder allein der tatsächliche Einsatz des Leiharbeitenden im Betrieb des Entleihers noch die zwischen dem Entleiher und Verleiher im Überlassungsvertrag vereinbarte Einsatzzeit, sondern die Zeiten, in denen der Leiharbeitende auf Grundlage des Überlassungsvertrages in die Arbeitsorganisation des Entleihers eingegliedert und dessen Weisung unterliegt, sind als Einsatzzeiten bei der Berechnung der Überlassungshöchstdauer zu berücksichtigen. Die Eingliederung bleibt bestehen, wenn es zu krankheits-, urlaubs-, wochenend- oder feiertagsbedingten Unterbrechungen kommt oder der Leiharbeitende nicht alle Stunden an einem Arbeitstag, nicht alle Tage in der Woche oder im Monat eingesetzt wird.
5. Die Anrechnung der vorangegangenen Einsätze erfolgt im Wege der Rückrechnung; die vorangegangenen Einsatzzeiten sind von dem Ende des ermittelten regulären" Endes der Überlassungshöchstdauer abzuziehen.
6. Allein die widerspruchslose Weiterarbeit des Leiharbeitenden beim Verleiher über die Überlassungshöchstdauer hinaus, erfüllt nicht das erforderliche Umstandsmoment für eine Verwirkung, sich gegenüber dem Entleiher auf die Fiktion eines Arbeitsverhältnisses berufen zu können.
Leitsatz (redaktionell)
1. Grundsätzlich hat zwar der Arbeitnehmer, der sich zu seinen Gunsten auf die Fiktion der §§ 9 Abs. 1 Nr. 1 b, 10 Abs. 1 AÜG beruft, die Darlegungs- und Beweislast für die tatsächlichen Voraussetzungen einer Überschreitung der Überlassungshöchstdauer unter Berücksichtigung dieser Vorgaben. Die Arbeitgeberin trifft jedoch eine sekundäre Darlegungslast. Der Arbeitnehmer muss deshalb zunächst nur die anspruchshindernden Tatsachen ausräumen, die sich aus dem Vortrag des Arbeitgebers ergeben. Bestreitet der Verleiher die für die Einsatzdauer maßgeblichen Umstände anschließend substantiiert, bleibt es bei dem Grundsatz, dass der Arbeitnehmer die anspruchsbegründenden Tatsachen beweisen muss.
2. Die Verwirkung ist ein Sonderfall der unzulässigen Rechtsausübung (§ 242 BGB). Mit ihr wird die illoyal verspätete Geltendmachung von Rechten ausgeschlossen. Sie beruht auf dem Gedanken des Vertrauensschutzes und trägt dem Bedürfnis nach Rechtssicherheit und Rechtsklarheit Rechnung.
Normenkette
AÜG § 1 Abs. 1, 1b, §§ 10, 9; BGB §§ 187-188, 191, 209, 242; GewO § 106
Verfahrensgang
ArbG Emden (Entscheidung vom 25.01.2022; Aktenzeichen 3 Ca 96/21) |
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts A-Stadt vom 25.01.2022 - ... - wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Beklagte zu tragen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten, ob zwischen ihnen ein Arbeitsverhältnis zustande gekommen ist.
Der am 25.09.1981 geborene Kläger - Mitglied der Gewerkschaft IG Metall - ist seit dem 15.05.2017 bei der A. - (vormals A., nachfolgend: A.) auf Grundlage des schriftlichen Arbeitsvertrages vom 12.05.2017 (vgl. Blatt 5-8 der Akte) tätig. Die A. verfügt seit dem 06.11.2013 über die Erlaubnis zur gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung.
Zwischen der A., der Beklagten und der Industriegewerkschaft Metall ist mit Wirkung zum 1. Januar 2014 ein Tarifvertrag über die Vergütung und Einsatzbedingungen von Zeitarbeitnehmern (TV VEZ) abgeschlossen worden. Dieser beinhaltet unter anderem nachstehende Vereinbarung:
"4.3 Einsatzdauer und Übernahme
4.3.1
Der Einsatz von Zeitarbeitnehmern der A. Zeitarbeit GmbH & Co. OHG ist auf maximal 36 aufeinanderfolgende Monate befristet; der Zeitraum eines vorangehenden Einsatzes als Zeitarbeitnehmer der Autovision Zeitarbeit GmbH & Co. OHG, der Autovision GmbH bzw. der Wolfsburg AG ist anzurechnen, wenn die Beendigung nicht länger als 6 Monate vor dem Beginn des erneuten Einsatzes zurückliegt."
Wegen der weiteren Einzelheiten dieses Tarifvertrages wird auf Blatt 121-125 der Akte verwiesen.
Vom 15.05.2017 bis zum 31.10.2020 wurde der Kläger von der A. im Wege der gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung auf Grundlage von verschiedenen Überlassungsverträgen an die Beklagte überlassen und während unterschie...