Entscheidungsstichwort (Thema)
Auslegung von Tarifverträgen. Tatsächliche Leistung von Überstunden zur Berücksichtigung bei der tariflichen Monatsarbeitszeit. Tarifliche Berechnungsvorgaben bei tatsächlich geleisteten Überstunden
Leitsatz (amtlich)
1) Zur Begründung des Geltungsbereichs zur Anwendung des § 3 Kraftfahrer Bund ist es erforderlich, dass die Überstunden im erforderlichen Umfang tatsächlich geleistet worden sein müssen; sie können nicht pauschal nach § 3 Abs. 3 bis 5 KraftfahrerTV in das Stundenkonto einbezogen werden.
2) In die Berechnung tatsächlich geleisteter Überstunden fließen Urlaubs-, Krankheits- und Feiertage in Höhe der tariflich regelmäßigen Stundenzahl ein. Sie dürfen nicht mit Null Stunden angesetzt werden.
Leitsatz (redaktionell)
Die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrages folgt den Grundsätzen der für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Zunächst ist vom Wortlaut auszugehen, wobei der maßgebliche Sinn der Erklärung zu erforschen ist, ohne am Buchstaben zu haften. Über den reinen Wortlaut hinaus ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien und der damit von ihnen beabsichtigte Sinn und Zweck der Tarifnorm zu berücksichtigen. Abzustellen ist stets auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefert.
Normenkette
Kraftfahrer TV-Bund §§ 8, 1, 3 Abs. 3-5, §§ 4-5
Verfahrensgang
ArbG Oldenburg (Oldenburg) (Entscheidung vom 11.09.2019; Aktenzeichen 3 Ca 191/19 E) |
Nachgehend
Tenor
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Oldenburg vom 11. September 2019 - 3 Ca 191/19 E - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
2. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten im Rahmen einer Tarifauslegung um Ansprüche auf Zahlung eines Pauschalentgeltes nach dem Tarifvertrag für die Kraftfahrer und Kraftfahrerinnen des Bundes (im Folgenden: KraftfahrerTV Bund).
Der Kläger ist bei der Beklagten seit dem 1. April 1987 tätig. Er wird als Kraftfahrer bei der B. am Standort D. beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet kraft arbeitsvertraglicher Bezugnahme der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD Bund) Anwendung. Danach beträgt die regelmäßige durchschnittliche Arbeitszeit des Klägers 39 Stunden wöchentlich. Darüber hinaus bestimmt sich das Arbeitsverhältnis nach dem KraftfahrerTV Bund, auf dessen Grundlage der Kläger bis zum 31. Dezember 2018 ein Pauschalentgelt der Pauschalgruppe II erhielt. Mit Schreiben vom 20. Februar 2019 teilte die Beklagte dem Kläger mit, er erfülle im ersten Halbjahr 2019 die Voraussetzungen für die Gewährung einer Pauschalvergütung nicht mehr.
Mit der am 31. Mai 2019 beim Arbeitsgericht erhobenen Klage hat der Kläger die Feststellung begehrt, dass ihm auch für das erste Halbjahr 2019 eine Pauschalvergütung nach dem KraftfahrerTV Bund zu gewähren sei. Er hat vorgetragen, er habe auch im zweiten Kalenderjahr 2018 an mehr als sechs Wochen Überstunden geleistet. In den insgesamt 26 Kalenderwochen des zweiten Halbjahres 2018 habe er entsprechend der erstinstanzlich als Anlage K2 vorgelegten Tabelle, auf die Bezug genommen wird (Bl. 28 bis 33 d. A.), gearbeitet. Zeiten der Erkrankung, des Erholungsurlaubs oder eines Feiertages seien mit den in § 3 Abs. 3 KraftfahrerTV Bund genannten Pauschalstunden in die Wochenarbeitszeit einzustellen. Zumindest müsse für diese Tage die tarifübliche Arbeitszeit nach dem TVöD Bund berücksichtigt werden. Die Arbeitstage bei der Berechnung der Überstunden vollständig außer Acht zu lassen, widerspreche dem Inhalt des Tarifvertrags.
Der Kläger hat beantragt,
festzustellen, dass die Beklagte für die Monate bis zum 30. Juni 2019 verpflichtet ist, dem Kläger ein Pauschalentgelt nach §§ 4 und 5 des Tarifvertrages für die Kraftfahrer/Kraftfahrerinnen des Bundes vom 13. September 2005 der Pauschalgruppe II zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat die Auffassung vertreten, für die Anwendbarkeit des KraftfahrerTV Bund komme es auf die im Referenzzeitraum geleistete tatsächliche Arbeitszeit an. Sei an einzelnen Arbeitstagen infolge von Krankheit, Urlaub oder eines Feiertages nicht tatsächlich Arbeit geleistet worden, sei dieser Tag nicht zu berücksichtigen, also mit null Stunden anzusetzen. Die Pauschalvergütung sei eine Art Erschwerniszulage, die nur gewährt werde, wenn die Erschwernis tatsächlich bestanden habe.
Das Arbeitsgericht hat festgestellt, dass die Beklagte für die Monate bis zum 30. Juni 2019 verpflichtet sei, dem Kläger ein Pauschalentgelt nach §§ 4 und 5 des KraftfahrerTV Bund der Pauschalgruppe II zu zahlen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Der Kläger falle unter den Geltungsbereich des Tarifvertrages, denn er habe im maßgeblichen Referenzzeitraum an mehr als sechs Wochen Überstunden geleistet. Für die Anwendbarkeit des KraftfahrerTV Bund seien nicht nur tatsächlich geleistete Stunden, sondern die in § 3 Abs. 3 KraftfahrerTV B...