Entscheidungsstichwort (Thema)
Konzernprivileg des § 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG. Keine europarechtskonforme Auslegung des § 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG. Methodik der europarechtskonformen Auslegung nationaler Gesetze
Leitsatz (amtlich)
Ob § 1 Abs. 3 AÜG europarechtswidrig ist, kann ausdrücklich auf sich beruhen. Jedenfalls kann diese Norm nicht europarechtskonform ausgelegt werden und ist anzuwenden.
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Vorschriften des AÜG gelten nicht - von wenigen Ausnahmen abgesehen - für eine Arbeitnehmerüberlassung zwischen Konzernunternehmen i.S.d. § 18 AktG, wenn der Arbeitnehmer nicht zum Zweck der Überlassung eingestellt und beschäftigt wird (sog. "Konzernprivileg").
2. Das Konzernprivileg des § 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG ist vom Wortlaut und vom Sinn und Zweck, den der nationale Gesetzgeber mit dieser Vorschrift verbunden hat, klar und eindeutig; eine europarechtskonforme Auslegung, die dann eine Auslegung contra legem wäre, ist aus Rechtsgründen unzulässig. Die Richtlinie 2008/104/EG über Leiharbeit findet somit keine unmittelbare Anwendung.
3. Der Grundsatz der unionsrechtskonformen Auslegung des nationalen Rechts unterliegt Schranken. Die Pflicht zur Verwirklichung eines Richtlinienziels im Auslegungsweg findet ihre Grenzen an dem nach innerstaatlicher Rechtstradition methodisch Erlaubten. Sie darf nicht als Grundlage für eine Auslegung des nationalen Rechts contra legem dienen. Der Gehalt einer nach Wortlaut, Systematik und Sinn eindeutigen Regelung kann nicht im Wege der richtlinienkonformen Auslegung in sein Gegenteil verkehrt werden.
Normenkette
AÜG § 1 Abs. 3; RL 2008/104/EG; AEUV Art. 238 Abs. 3; AÜG § 1 Abs. 1b, § 9 Abs. 1, § 10 Abs. 1 S. 1
Verfahrensgang
ArbG Emden (Entscheidung vom 12.01.2022; Aktenzeichen 1 Ca 334/20) |
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Emden vom 12.01.2022 -1 Ca 334/20 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob zwischen ihnen mit Wirkung ab dem 01.08.2020, hilfsweise ab dem 13.08.2020 ein Arbeitsverhältnis besteht.
Der Kläger ist bei der V. und deren Rechtsvorgängerin aufgrund des Arbeitsvertrages vom 01.08.2017 ursprünglich befristet und mit Ablauf des 31.03.2015 unbefristet als Bereitsteller in dem Geschäftsfeld Logistik beschäftigt. Unter dem 31.01.2019 schlossen die V. und die Beklagte einen Vertrag, der die Überlassung des Klägers von der V. zu der Beklagten bis zum 31.07.2020 zum Gegenstand hat.
Beide Unternehmen sind Konzernunternehmen.
Die V. teilte dem Kläger mit Schreiben vom 31.01.2019 den Einsatz bei der Beklagten mit.
Bis zum 26.07.2020 war der Kläger in dem Emder Betrieb der Beklagten tätig, vom 27.07. bis zum 14.08.2020 fand dort ein Werksurlaub statt.
Es existiert ein mit "Vertrag über die leihweise zur Verfügungstellung von Personal im Rahmen der Konzernleihe" überschriebenes Schriftstück, demzufolge der Einsatz des Klägers bei der Beklagten verlängert wird. Es heißt in diesem Schriftstück: "Dieser Vertrag wird mit dem 01.08.2020 wirksam und läuft bis zum 31.12.2020."
Der Vertrag ist auf den 30.06.2020 datiert, die Konzernunternehmen signierten ihn jedoch erst am 25.08./26.08./27.10.2020.
Ab dem 13.07.2020 war der Kläger im Emder Betrieb der Beklagten bis ca. Anfang November 2020 tätig.
Mit seiner Klage hat der Kläger geltend gemacht, es bestehe ein Arbeitsverhältnis zu der Beklagten, beginnend ab dem 01.08., hilfsweise ab dem 13.08.2020. Er hat behauptet, am 23.06.2020 habe unter Mitwirkung des Vorgesetzten ein Gespräch mit dem Betriebsrat stattgefunden. In diesem Gespräch sei seinem Kollegen Herrn W. und ihm mitgeteilt worden, dass eine Übernahme durch die Beklagte nicht möglich sei, aber die zeitlich befristete Konzernleihe entfristet und neu aufgesetzt werde, da sein Kollege und er weiterhin als FTS-Anlagenführer gebraucht werden würden. Der Kläger hat ferner behauptet, er habe in dem Zeitraum vom 13.08. bis Anfang November 2020 genau dieselbe Arbeit verrichtet und genau zu denselben Arbeitsbedingungen gearbeitet, wie zuvor beginnend mit dem 01.02.2019.
Er hat die Auffassung vertreten, das Konzernprivileg des AÜG sei europarechtswidrig. Aus diesem Grunde bestehe ein Arbeitsverhältnis zur Beklagten, da die Höchstüberlassungsgrenze überschritten worden sei.
Wegen weiterer Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils (dort Bl. 2 bis 6 desselben, Bl. 145 bis 149 der Gerichtsakte) verwiesen.
Mit Urteil vom 12.01.2022 hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen. Wegen der genauen Einzelheiten der rechtlichen Würdigung wird auf die Entscheidungsgründe dieses Urteils (dort Bl. 7 bis 15 desselben, Bl. 150 bis 158 der Gerichtsakte) verwiesen.
Dieses Urteil ist dem Kläger am 21.02.2022 zugestellt worden. Mit einem am 18.03.2022 eingegangenen Schriftsatz hat er Berufung eingelegt und diese mit einem am 13.05.2022 eingegangenen Schriftsatz begründet, nachdem zuvor das Berufungsgericht die Rechtsmittelbegründungsfrist mit Besc...