Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine Einzelzwangsvollstreckung wegen Insolvenzforderungen im Insolvenzverfahren. Umfang der Insolvenzmasse und Zwangsvollstreckungsverbot
Leitsatz (redaktionell)
1. Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens ist aus Gründen der Gleichbehandlung aller Gläubiger eine Einzelvollstreckung wegen Insolvenzforderungen grundsätzlich untersagt. Deshalb sind Zwangsvollstreckungen für einzelne Insolvenzgläubiger während der Dauer des Insolvenzverfahrens weder in die Insolvenzmasse noch in das sonstige Vermögen des Schuldners zulässig.
2. Gemäß § 35 Abs. 1 InsO erfasst das Insolvenzverfahren das gesamte Vermögen, das dem Schuldner zur Zeit der Eröffnung des Verfahrens gehört und das er während des Verfahrens erlangt (Insolvenzmasse). § 89 Abs. 1 InsO untersagt nicht nur die Zwangsvollstreckung in die Insolvenzmasse, sondern auch in das sonstige Vermögen des Schuldners.
Normenkette
InsO § 35 Abs. 1, §§ 87, 89, 174, 179 Abs. 2
Verfahrensgang
ArbG Osnabrück (Entscheidung vom 17.05.2022; Aktenzeichen 3 Ca 383/21) |
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Osnabrück vom 17.05.2022 - 3 Ca 383/21 - abgeändert:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1.579,62 EUR zu zahlen.
2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
3. Die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens werden dem Kläger zu 3/4 und der Beklagten zu 1/4 auferlegt.
Von den Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger 2/3 und die Beklagte 1/3.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um das Schicksal gepfändeter Lohnforderungen in der Verbraucherinsolvenz des Arbeitnehmers.
Dem Kläger steht in seiner Eigenschaft als IV über das Vermögen der K GmbH gegen den Streitverkündeten aus einem Urteil des Landgerichts Osnabrück vom 02.07.2018 - 2 O 1002/18 -, einem darauf bezogenen Kostenfestsetzungsbeschluss sowie wegen entstandener Kosten der Zwangsvollstreckung eine Gesamtforderung in Höhe von 18.979,11 Euro zuzüglich Zinsen zu.
Der Streitverkündete ist Arbeitnehmer der Beklagten; sein Arbeitseinkommen pfändete der Kläger mit Pfändungs- und Überweisungsbeschluss des AG Osnabrück vom 21.08.2019, welcher der Beklagten und dem Streitverkündeten am 27.08.2019 zugestellt wurde. Dabei ordnete das AG Osnabrück, da der Kläger eine Forderung aus einer vorsätzlichen unerlaubten Handlung des Streitverkündeten verfolgt, zunächst für den Monat August 2019 an, dass dem Streitverkündeten monatlich ein Betrag von 530,00 Euro zu verbleiben habe. Für die Zeit ab September 2019 legte das AG Osnabrück den unpfändbaren monatlichen Betrag auf 890,38 Euro fest.
Ausweislich der erteilten Lohnabrechnungen verdiente der Streitverkündete bei der Beklagten - jeweils netto monatlich - von August 2019 bis einschließlich Februar 2020 jeweils 1.500,00 Euro, im März 2020 1.192,00 Euro, im April 2020 1.122,00 Euro, im Mai 2020 1.150,00 Euro und ab Juni 2020 bis einschließlich Dezember 2021 je 1.500,00 Euro.
Für November und Dezember 2021 verlangt der Kläger von der Beklagten die Zahlung eines jeweils pfändbaren Betrages in Höhe von 609,62 Euro, für Januar 2022 einen Pfändungsrest in Höhe von 55,26 Euro. Die weiteren in erster Instanz noch streitigen Beträge sind von der Berufung der Beklagten - die alleinige Berufungsführerin ist - nicht umfasst.
Über das Vermögen des Streitverkündeten wurde mit Beschluss des AG Osnabrück vom 09.09.2021 - 26 IN 20/21 - das Verbraucherinsolvenzverfahren eröffnet und Dipl.-Kfm. M. S. zum Insolvenzverwalter bestellt. Der Streitverkündete stellte auch einen Antrag auf Erteilung der Restschuldbefreiung. Das Insolvenzverfahren war zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung zweiter Instanz noch nicht beendet.
Der Kläger hat erstinstanzlich, soweit für das Berufungsverfahren von Interesse, die Auffassung vertreten, die Beklagte schulde ihm die Zahlung der pfändbaren Beträge für November und Dezember 2021 sowie den Pfändungsrest für Januar 2022. Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Streitverkündeten ändere hieran nichts. Zwangsvollstreckungen in künftige Forderungen auf Bezüge aus einem Dienstverhältnis des Schuldners seien zulässig, wenn es sich um Forderungen aus einer vorsätzlichen unerlaubten Handlung handele. Dies ergebe sich aus § 89 Abs. 2 Sätze 1 und 2 InsO. Zudem habe die Beklagte etwaige Einwendungen gegen die Zulässigkeit der Zwangsvollstreckung beim Insolvenzgericht erheben müssen. Da sie dies nicht getan habe, sei sie mit diesen Einwendungen auch im vorliegenden Verfahren ausgeschlossen.
Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 4.734,12 Euro zu zahlen.
Die Beklagte hat vor dem Arbeitsgericht beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat erstinstanzlich, soweit für das Berufungsverfahren von Interesse, im Wesentlichen eingewendet, mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Streitverkündeten sei die Einzelzwangsvollstreckung gemäß § 89 InsO unzulässig.
Mit Urtei...