Rechtsmittel eingelegt unter dem Aktenzeichen: 10 AZR 295/11

 

Entscheidungsstichwort (Thema)

Wirksamkeit einer (örtlichen) Versetzungsklausel und einer betriebsbedingten Änderungskündigung zum Zwecke der Versetzung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Zählt aufgrund einer anzuwendenden tariflichen Bestimmung zur vergütungspflichtigen Arbeitszeit auch die Zeit, die ein Arbeitnehmer vom vertraglich vereinbarten Beschäftigungsort zum Einsatzort und zurück aufwendet, verstößt eine örtliche Versetzungsklausel in einem AGB-Vertrag gegen § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB.

2. Sieht eine arbeitsvertragliche Versetzungsklausel (auch) den befristeten Einsatz bei einem anderen Konzernunternehmen vor (Konzernleihe) und unterbreitet der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer trotz einer entsprechenden Einsatzmöglichkeit bei einer Tochtergesellschaft am bisherigen, vertraglich vereinbarten Beschäftigungsort kein entsprechendes Angebot, verstößt eine betriebsbedingte Änderungskündigung, mit der aus Kostengründen der bisherige Beschäftigungsort abgeändert werden soll, gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz.

 

Normenkette

BGB § 307 Abs. 2 Nr. 1; KSchG §§ 2, 1

 

Verfahrensgang

ArbG Hannover (Entscheidung vom 24.02.2010; Aktenzeichen 9 Ca 186/09)

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten wird kostenpflichtig mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass

  1. die Beklagte verurteilt wird, den Kläger über den 01.01.2010 hinaus zu unveränderten Arbeitsbedingungen als Purser am Standort E-Stadt weiterzubeschäftigen;
  2. festgestellt wird, dass die Änderung der Arbeitsbedingungen gemäß der Änderungskündigung vom 17.09.2009 sozial ungerechtfertigt ist.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer Versetzung sowie einer hilfsweise ausgesprochenen betriebsbedingten Änderungskündigung.

Der am 00.00.1956 geborene, verheiratete Kläger, der zwei schulpflichtigen Kindern (zum Zeitpunkt der Klageerhebung 10 und 15 Jahre alt) unterhaltsverpflichtet ist, ist seit dem 09.04.1984 bei der beklagten C. GmbH (im Folgenden: C.G) als Trainingspurser zu einer derzeitigen Jahresbruttovergütung in Höhe von ca. 65.000,– EUR beschäftigt. Bei der Beklagten handelt es sich um ein in B-Stadt ansässiges Luftverkehrsunternehmen mit ca. 2.100 Mitarbeitern (davon 1.480 im fliegenden Personal), die ihren jeweiligen dienstlichen Beschäftigungsort an unterschiedlichen Standorten haben. Der arbeitsvertragliche Stationierungsort des Klägers war zunächst F-Stadt. Mit Schreiben vom 09.03.2001 wurde ihm mit Wirkung zum 01.06.2001 (Anlage zur Klageschrift Bl. 7 d. A.) E-Stadt als Stationierungsort zugewiesen. Der Arbeitsvertrag des Klägers vom 09.04.1984 enthält in Ziff. 5 eine Versetzungsklausel, die folgendermaßen lautet:

„Die C.G behält sich ausdrücklich die jederzeitige Versetzung des Mitarbeiters an einen anderen Beschäftigungsort sowie seinen jederzeitigen Einsatz bei ihrer Muttergesellschaft oder bei einer anderen Konzerngesellschaft vor.”

In Ziffer 4 des Arbeitsvertrages heißt es weiter wörtlich:

„Die Rechte und Pflichten des Mitarbeiters ergeben sich aus den jeweils gültigen Tarifverträgen für das Bordpersonal, den Betriebsvereinbarungen und Dienstvorschriften der C.G.”

Der Transport vom vertraglichen Einsatzort zum Flughafen des Abfluggebiets bzw. zurück

zum Stationierungsort (Dead-Head) gilt nach den anzuwendenden tariflichen Bestimmungen des Manteltarifvertrags Nr. 6 für das Bordpersonal (künftig: MTV-Kabine) als Arbeitszeit. Nach § 4 des Tarifvertrages „Personalvertretung Condor”, gültig ab 31.08.1992 (künftig: TVPV Condor) existiert bei der Beklagten gemäß § 117 Abs. 2 BetrVG eine Personalvertretung für das (fliegende) Bordpersonal. Unter dem 07.07.2009 schloss die Beklagte mit dieser eine „Vereinbarung über die Beendigung der Stationierung von Cockpit-Kabinenpersonal in E-Stadt (HAJ)”, wegen deren genauen Wortlauts auf die Anlage B 4 zum Schriftsatz der Beklagten vom 22.12.2009 (Bl. 87 bis 98 d. A.) verwiesen wird. Um den von der Stationsschließung in E-Stadt betroffenen Mitarbeitern den Fortbestand ihres Beschäftigungsorts E-Stadt zu ermöglichen, hatte sich die Beklagte zuvor zur Deckung eines kurzfristig entstandenen erhöhten Bedarfs an Kabinenmitarbeiterinnen und -mitarbeitern für den Stationierungsstandort E-Stadt bei ihrer hundertprozentigen Tochter, der Condor Berlin GmbH (im Folgenden: CiB), mit Schreiben vom 12.03.2009 an die bei ihr in E-Stadt stationierten Flugbegleiter und Purser mit dem Angebot gewandt, freiwillig für einen zeitlich nicht befristeten Zeitraum für die CiB als Flugbegleiter mit Stationierungsort E-Stadt zu fliegen (Anlage B 1 zum Schriftsatz der Beklagten vom 30.11.2010, Bl. 245 ff. d. A.). Dem vorausgegangen war eine Informationsveranstaltung in E-Stadt am 10.02.2009, in der die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter über die bevorstehende Schließung des Stationierungsorts E-Stadt zum 31.12.2009 informiert worden waren und in der ihnen auch die Abordnungsmöglichkeit zur CiB vorgestellt worden war. Den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern war mitgeteilt worden, dass die Ci...

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