Entscheidungsstichwort (Thema)

Psychiatrie-Zulage. halbgeschlossene psychiatrische Abteilung. Anspruch auf Psychiatrie-Zulage auch dann, wenn die als halbgeschlossene psychiatrische Abteilung konzipierte und geführte Station mangels dem Stationsgebot unterliegender Patienten an mehreren Wochen und Monaten im Jahr tatsächlich nicht geschlossen ist

 

Leitsatz (amtlich)

Wenn eine psychiatrische Abteilung oder Station nach ihren technischen und baulichen Voraussetzungen, ihrer medizinischen Zweckbestimmung und der Ausbildung des dort vorgehaltenen Pflegepersonals (auch) dazu bestimmt ist, Kranke zu behandeln, die dem Stationsgebot unterliegen, so ist davon auszugehen, dass es sich um eine Station im Sinne der Anmerkung VI Ziffer 1 b) der Anlage 2 a) zu den AVR handelt, wenn die Station „in gewissem Umfang” also zumindest mehrere Wochen im Jahr tatsächlich geschlossen wird.

Der Charakter als halbgeschlossene Station ist hingegen zu verneinen, wenn eine psychiatrische Abteilung, die von ihrer räumlichen, technischen und personellen Ausstattung sowie der medizinischen Zielsetzung grundsätzlich nicht auf die Behandlung von Patienten, die dem Stationsgebot unterliegen, ausgerichtet ist, dennoch in einem oder mehreren Einzelfällen quasi „ausnahmsweise” Patienten zu betreuen hat, für die ein Unterbringungsbeschluss vorliegt oder die der Betreuung unterliegen.

 

Normenkette

Anmerkung VI Ziff. 1 b) der Anlage 2 a) zu den AVR, entsprechend auch für Protokollerklärung Nr. 1 (1) Buchst. 1 b) zum BAT; BAT § 33

 

Verfahrensgang

ArbG Nienburg (Urteil vom 17.06.2010; Aktenzeichen 3 Ca 663/09)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 11.07.2012; Aktenzeichen 10 AZR 287/11)

 

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts A-Stadt vom 17.06.2010 – 3 Ca 663/09 – teilweise abgeändert und die Beklagte verurteilt, an die Klägerin weitere 322,14 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 18.12.2009 zu zahlen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob die Klägerin von der Beklagten eine monatliche Zulage in Höhe von zurzeit 46,02 EUR brutto verlangen kann, weil sie als Krankenschwester die Grund- und Behandlungspflege zeitlich überwiegend bei Kranken auf der allgemeinpsychiatrischen Station V der Beklagten ausübt.

Die am 00.00.1960 geborene Klägerin ist bei der Beklagten bzw. ihrer Rechtsvorgängerin seit dem 01.06.1999 als Krankenschwester mit einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 38,5 Stunden beschäftigt. Der zwischen den Parteien geschlossene schriftliche Dienstvertrag nimmt in § 2 auf die Richtlinien für Arbeitsverträge bei den Einrichtungen des Deutschen Caritas-Verbandes (AVR) in ihrer jeweils geltenden Fassung Bezug. Die Klägerin ist derzeit in die Vergütungsgruppe Kr 5 a eingruppiert. Danach beträgt ihr regelmäßiger monatlicher Bruttolohn durchschnittlich 3.100,00 EUR.

Die auf das Arbeitsverhältnis der Parteien anzuwendende Anmerkung VI Ziffer 1 b) der Anlage 2 a) zu den AVR lautet wie folgt:

„Pflegepersonen der Vergütungsgruppen Kr 1 bis Kr 7, die die Grund- und Behandlungspflege zeitlich überwiegend bei (…) b) Kranken in geschlossenen oder halbgeschlossenen (Open-door-system) psychiatrischen Abteilungen oder Stationen (…) ausüben, erhalten für die Dauer dieser Tätigkeit eine monatliche Zulage von 46,02 EUR.”

Die Klägerin ist als Krankenschwester ausschließlich auf der Station V der Beklagten beschäftigt. Es handelt sich um eine allgemeinpsychiatrische Akut-Station. Die Station verfügt über maximal 22 Betten. Hinsichtlich der dort regelmäßig zu behandelnden Erkrankungen wird auf Seite 3 des erstinstanzlichen Urteils vom 17.06.2010 verwiesen. Die Station V wird aufgrund richterlicher Anordnung, unabhängig davon, ob alle Patienten oder nur ein Patient betroffen sind, für bestimmte Zeiträume vollständig geschlossen. Das Pflegepersonal hat in solchen Fällen die ausschließliche Schlüsselgewalt über die Station. Patienten, die sich ohne richterliche Anordnung auf der Station V aufhalten, müssen jeweils die Krankenschwestern bzw. Krankenpfleger bitten, die Station für sie aufzuschließen, wenn sie diese innerhalb der Zeiten, in denen die Station aufgrund richterlicher Anordnung geschlossen ist, verlassen möchten. Patienten mit einer richterlichen Anordnung auf geschlossene Unterbringung können die Station nicht verlassen. Je nach Umfang der richterlichen Anordnung ist die Station V stundenlang, tagelang oder wochenlang geschlossen. Zum zeitlichen Umfang dieser Schließungen im Zeitraum von November 2007 bis einschließlich Mai 2010 wird auf die Aufstellungen im Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils vom 17.06.2010 (dort Seite 3 bis 5) verwiesen.

Die Klägerin hat geltend gemacht, es handele sich damit insgesamt um eine halbgeschlossene Station im Sinne der Anmerkung VI Ziffer 1 b) der Anlage 2 a) zu den AVR. Dass die Station nur für bestimmte Zeiträume halbgeschlossen sei, ändere nichts an der Erfüllung der i...

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