Entscheidungsstichwort (Thema)

Unmittelbare Benachteiligung i.S.v. § 3 Abs. 1 AGG. Rechtfertigung einer geschlechtsbezogenen Benachteiligung nach § 8 Abs. 1 AGG. Stellenanzeige für eine weibliche Gleichstellungsbeauftragte

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Eine unmittelbare Benachteiligung i.S.d. § 3 Abs. 1 AGG liegt vor, wenn eine Person wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes eine weniger günstige Behandlung erfährt als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde, wobei die sich nachteilig auswirkende Maßnahme direkt an das verbotene Merkmal anknüpfen muss.

2. Für die Zulässigkeit der Differenzierung nach dem Geschlecht verlangt die Norm, dass dieses unverzichtbare Voraussetzung für die Erbringung der Tätigkeit ist. Dementsprechend kann das Geschlecht nur dann i.S.d. § 8 Abs. 1 AGG eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung bilden, wenn die Tätigkeit ohne das Merkmal jedenfalls nicht ordnungsgemäß durchgeführt werden kann.

3. Es ist sachlich gerechtfertigt, die Stelle einer Gleichstellungsbeauftragten mit einer Frau zu besetzen und männliche Bewerber abzulehnen. Nicht nur § 42 NHG gibt dies vor, sondern auch die Stelleninhalte (z.B. Befassung mit geschlechtsbezogenen Herabsetzungen, sexuellen Belästigungen, potenziellen Frauendiskriminierungen) lassen eine weibliche Stellenbesetzung erforderlich erscheinen.

 

Normenkette

RL 2006/54/EG Art. 14 Abs. 2; GG Art. 3 Abs. 3, Art. 33 Abs. 2; NHG §§ 2, 3 Abs. 3, § 42; AGG § 3 Abs. 1, §§ 6, 8 Abs. 1, § 15 Abs. 2

 

Verfahrensgang

ArbG Braunschweig (Entscheidung vom 12.07.2022; Aktenzeichen 7 Ca 68/22 Ö)

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Braunschweig vom 12. Juli 2022 - 7 Ca 68/22 Ö - wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob dem Kläger ein Entschädigungsanspruch wegen geschlechtsbezogener Benachteiligung bei der Bewerberauswahl zusteht.

Die Beklagte ist eine Fachhochschule mit rund 13.000 Studierenden an mehreren Standorten und ca. 1.000 Beschäftigten. Am 30. Juni 2021 schrieb sie die Stelle einer hauptberuflichen zentralen Gleichstellungsbeauftragten aus. Die Anzeige lautet auszugsweise wie folgt:

"Wir suchen zum nächstmöglichen Termin eine hauptberufliche zentrale Gleichstellungsbeauftragte im Rahmen eines Wahlamts befristet auf 6 Jahre. Die Wiederwahl ist möglich.

Ihre Aufgaben

• Beratung und Unterstützung der Hochschule im Hinblick auf die Erfüllung des Gleichstellungsauftrages nach § 42 NHG

• Mitwirkung bei der Entwicklungsplanung der Hochschule sowie bei Struktur- und Personalentscheidungen, insbesondere Berufungsverfahren

• Beratung der Hochschulangehörigen in allen Fragen der Gleichstellung, der Vereinbarkeit von Studium und Beruf mit Familien- und Care-Aufgaben sowie in Fällen von Diskriminierung, sexueller Belästigung etc.

• Leitung des Gleichstellungsbüros und der dazugehörigen Projekte einschließlich Personalführung und Budgetverantwortung

• Interne und externe Vernetzung und Kooperation

• Unterstützung und Beratung in Forschung und Lehre unter gleichstellungsrelevanten Aspekten

• Entwicklung bzw. Weiterentwicklung innovativer Konzepte (Gleichstellung, Familien- und Care-Aufgaben, Inklusion, Gender und Diversität)

• Informations- und Öffentlichkeitsarbeit

• Entwicklung gleichstellungsrelevanter Maßnahmen und Projekte, insbesondere Durchführung von Veranstaltungen zu gleichstellungsrelevanten Themen

• Einwerbung von Projektmitteln.

Ihr Profil

• abgeschlossenes wissenschaftliches Hochschulstudium auf Masterniveau

• umfassende Kenntnisse und berufliche Erfahrungen in der Gleichstellungsarbeit und deren Grundlagen einschließlich der damit verbundenen rechtlichen Regelungen, vorzugsweise im Hochschulbereich

• Führungserfahrung

• Erfahrungen im Projektmanagement und in der Mittelakquise und -bewirtschaftung

• sicherer Umgang mit einschlägigen Office-Anwendungen sowie neuen Medien

• ausgeprägte Kommunikationsstärke, Konflikt- und Moderationsfähigkeit sowie Beratungskompetenz

• Engagement, Eigeninitiative und Durchsetzungsvermögen

...".

Die Vergütung sollte ausweislich der Stellenanzeige nach der Entgeltgruppe 13 TV-L erfolgen.

Mit Schreiben vom 15. August 2021 bewarb sich der Kläger auf die von der Beklagten ausgeschriebene Stelle. Er verfügt unter anderem über einen Studienabschluss zum Master of Arts der Soziologie und Gender Studies der Ludwig Maximilian Universität München sowie eine mehrjährige Berufserfahrung als Gender- und Diversity Manager am Campus Suderberg der Beklagten. In seinem Bewerbungsschreiben bezeichnete sich der Kläger als nicht-binäre Person.

Mit Schreiben vom 15. Oktober 2021 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass seine Bewerbung nicht in die engere Auswahl gekommen sei. Mit anwaltlichem Schreiben vom 13. Dezember 2021, der Beklagten an diesem Tag vorab per Fax und am 15. Dezember 2021 im Original zugegangen, ließ der Kläger einen Entschädigungsanspruch in Höhe...

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