Revision
Entscheidungsstichwort (Thema)
Bindungswirkung. Tatsachenfeststellung des Arbeitsgerichts. Ordentliche Kündigung. Vorherige Abmahnung. Betriebsratsanhörung. Unzutreffendes Datum des Kündigungssachverhalts
Leitsatz (amtlich)
1. Das Berufungsgericht ist auch im arbeitsgerichtlichen Verfahren an korrekte Tatsachenfeststellungen des Arbeitsgerichts gebunden.
2. Tätlichkeiten gegenüber einer Mitarbeiterin können eine ordentliche Kündigung ohne vorherige Abmahnung rechtfertigen.
3. Der Betriebsrat ist auch dann ordnungsgemäß angehört, wenn die Beweisaufnahme ergibt, dass die Vertragspflichtverletzung nicht an dem im Anhörungsverfahren mitgeteilten Datum, sondern früher erfolgt ist.
4. Der uneigentliche Hilfsantrag auf Weiterbeschäftigung ist auch dann mit einer Monatsvergütung zu bewerten, wenn die Klage abgewiesen wird.
Normenkette
ZPO § 529 Abs. 1 Nr. 1; KSchG § 1 Abs. 2; BetrVG § 102; ArbGG § 12 Abs. 7; GKG § 19
Verfahrensgang
ArbG Hannover (Urteil vom 02.09.2003; Aktenzeichen 7 Ca 179/03) |
Nachgehend
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Hannover vom 02.09.2003, 7 Ca 179/03, wird zurückgewiesen.
Die Anschlussberufung der Beklagten wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen der Kläger zu 3/4, die Beklagte zu 1/4.
Der Wert des Streitgegenstandes für das Berufungsverfahren wird auf 12.564,– EUR festgesetzt.
Für den Kläger wird die Revision zugelassen.
Für die Beklagte wird die Revision nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger beantragt die Feststellung, dass sein Arbeitsverhältnis zur Beklagten durch die außerordentliche, hilfsweise ordentliche Kündigung vom 05.03.2003 nicht aufgelöst worden ist. Außerdem begehrt er vorläufige Weiterbeschäftigung.
Der geborene Kläger war seit dem 01.07.1998 als Bandarbeiter bei der Beklagten, einem Unternehmer der Automobilindustrie, beschäftigt. Das Bruttomonatsentgelt betrug 3.141,– EUR. Die Zeugin M., eine gehörlose, schwerbehinderte Mitarbeiterin, und der Kläger arbeiteten an benachbarten Arbeitsplätzen.
Mit Schreiben vom 27.02.2003 (Bl. 26 d.A.) beschwerte sich die Zeugin beim zuständigen Meister, der Kläger habe sie „gestern” nach Ablehnung eines Bonbons geohrfeigt, er küsse sie immer auf die Wange und habe auch viel getrunken. Der Werkschutz ermittelte aufgrund der Beschwerde am 28.02.2003 und hörte die Zeugin M., den Mitarbeiter L. und den Kläger an. In seinen Berichten ist der Vorfall datiert auf den 27.02.2003, 19:15 Uhr (Bl. 27 – 30 d.A.).
Mit Anhörungsschreiben vom 05.03.2003 (Bl. 31 d.A.) hörte die Beklagte den Personalausschuss des Betriebsrates an unter Beifügung des Ermittlungsberichts des Werkschutzes vom 28.02.2003 und führte als Kündigungsgründe auf: Tätlichkeit, sexuelle Belästigung und unerlaubter Alkoholkonsum. Der Personalausschuss erhob keine Einwände.
In ihrer erstinstanzlichen Vernehmung hat die Zeugin M. den in der Beschwerde geschilderten Vorgang datiert auf den letzten Arbeitstag vor Weihnachten 2002. Die Beklagte stützt die Kündigung nunmehr entsprechend der Zeugenaussage auf den Vorgang vom 20.12.2002.
Der Kläger hat vorgetragen, er habe ein freundschaftliches Verhältnis zur Kollegin M.. Etwaige Umarmungen seien nicht als Anzüglichkeiten zu werten, sondern als Geste der freundschaftlichen Begrüßung. Bei der Beschwerde der Zeugin M. könne es sich nur um ein Missverständnis handeln. Er habe die Zeugin nicht geschlagen oder auf die Wange geküsst. Er habe auch keinen Alkohol getrunken. In einem klärenden Gespräch mit der Zeugin M. und ihrem Vater habe er sich entschuldigt. Die Zeugin M. habe daraufhin die Anschuldigungen zurückgenommen. Soweit er am 28.02.2003 beim Werkschutz Vorwürfe eingeräumt habe, werde dieses Geständnis widerrufen. Er habe sich während dieses Gesprächs unter Druck gesetzt gefühlt. Der Beklagten sei es im Übrigen zumutbar, ihn innerbetrieblich auf einen anderen Arbeitsplatz umzusetzen.
Der Kläger hat beantragt,
- festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die außerordentliche noch durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 05.03.2003 beendet wird.
- im Falle des Obsiegens mit dem Antrag zu 1. die Beklagte zu verurteilen, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als Arbeiter weiterzubeschäftigen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat vorgetragen, der Kläger habe die Zeugin M. seit November 2002 belästigt und mehrfach versucht, sie in den Arm zu nehmen und auf die Wangen zu küssen. Auch am Vorfallstag sei es zu Kussversuchen gekommen.
Schließlich habe der Kläger aus nichtigem Anlass der Zeugin nach Ablehnung eines Bonbons eine Ohrfeige gegeben. Zudem habe er Alkohol getrunken.
Die Beklagte hat vorgelegt das Schreiben des Vaters der Zeugin M. vom 01.03.2003, Bl. 37 d.A..
Das Arbeitsgericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung von Frau M. als Zeugin. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird Bezug genommen auf die g...