Entscheidungsstichwort (Thema)
Auflösung des Arbeitsverhältnisses. Stasitätigkeit
Leitsatz (redaktionell)
Nach § 242 BGB kann sich der Arbeitgeber nicht auf Auflösungsgründe berufen, die er selbst oder Personen, für deren Verhalten er im Rahmen des Arbeitsverhältnis nach § 278 BGB einzustehen hat, treuwidrig herbeigeführt hat, um damit eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit als aussichtslos darstellen zu können.
Normenkette
KSchG §§ 9-10, 1 Abs. 2
Verfahrensgang
ArbG Osnabrück (Urteil vom 08.08.2002; Aktenzeichen 3 Ca 838/01) |
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Osnabrück vom 08.08.2002 – 3 Ca 838/01 – teilweise abgeändert:
Das Arbeitsverhältnis der Parteien wird zum 30.06.2002 aufgelöst. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger eine Abfindung in Höhe von 41.542,00 EUR brutto zu zahlen.
Die Klage wird wegen des Weiterbeschäftigungsbegehrens des Klägers abgewiesen.
Die weitergehende Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Beklagte zu 3/7 und der Kläger zu 4/7.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Mit seiner am 25. Oktober 2001 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage setzt sich der Kläger gegen eine ordentliche Kündigung der Beklagten vom 4. Oktober 2001 zum 30. Juni 2002 zur Wehr und begehrt seine Weiterbeschäftigung.
Der … 1949 geborene verheiratete Kläger, der 2 Kinder (Geburtsjahr 1973 und 1975) hat, ist seit dem 1. Oktober 1988 als beratender Arzt bei der Bezirksstelle der Beklagten tätig.
Der Kläger wuchs in der ehemaligen DDR auf. Im Jahre 1968 trat die Staatssicherheit an ihn heran, um ihn zu einer inoffiziellen Zusammenarbeit zu bewegen.
… Juli 1968 verpflichtete sich der Kläger zur inoffiziellen Zusammenarbeit unter dem Decknamen „H.”. In der Folgezeit gab er schriftliche Informationen in Form von Personeneinschätzungen und zu aktuell-politischen Ereignissen. Das letzte Treffen des Klägers mit seinem Kontaktoffizier fand am 24. Juni 1969 statt. Ab September 1969 nahm der Kläger dann ein Medizinstudium in Berlin auf. Der Kontakt zur Staatssicherheit riss zunächst ab. Nach Abschluss des Studiums wurde er im Herbst 1974 als Arzt im staatlichen Gesundheitswesen beschäftigt und später als leitender Arzt der staatlichen Arztpraxis … (…,). Im Jahre 1975 betrieben der Kläger und seine Ehefrau die Ausreise aus der DDR in die Bundesrepublik. Im gleichen Zeitraum kam es zu neuerlichen Kontakten zwischen dem Kläger und der Staatssicherheit, deren genauer Verlauf zwischen den Parteien streitig ist. Einerseits existieren Unterlagen, aus denen sich ergibt, dass der Kläger und seine Familie durch die Staatssicherheit gezielt bespitzelt wurden. Andererseits gibt es Unterlagen, die aussagen, dass der Kläger am 15. November 1976 unter dem Decknamen „Ha.” als „IMS” für die Staatssicherheit geworben sei.
Am 21. November 1976 siedelte der Kläger in die BDR über. Etwa in demselben Zeitraum wurde ein Herr L., ein Bekannter des Klägers zu einer Haftstrafe verurteilt und musste – vor seiner Ausreise in die Bundesrepublik – zumindest 12 Monate im Gefängnis verbleiben. Die Parteien streiten über die Frage, ob dies letztlich auf eine Denunziation durch den Kläger zurückzuführen war. Nach seiner Übersiedlung in die BRD war der Kläger unstreitig nicht mehr für die Stasi tätig.
Im Jahre 1987 bewarb er sich auf eine ausgeschriebene Stelle als hauptamtlicher Prüfarzt bei der Beklagten. In dem der Bewerbung vom 23. November 1987 beigefügten Lebenslauf heißt es unter anderem:
„Nach Verhören und ständiger Observation durch die Staatssicherheitsorgane der DDR lebte ich in meiner Familie als kinderbetreuender Vater bis zur schwer erkämpften Ausreise aus Mitteldeutschland im November 1967.”
Wegen des weiteren Inhalts des Lebenslaufes wird auf die mit Schriftsatz der Beklagten vom 13. November 2001 überreichte Kopie (Bl. 25/26 d.A.) Bezug genommen.
In der Folgezeit war das Arbeitsverhältnis der Parteien durch verschiedene arbeitsgerichtliche Auseinandersetzungen belastet. Am 30. November 2000 erhielt die Beklagte ein Schreiben des Dr. L., in dem dieser die Beklagte darauf hinwies, dass der Kläger bei der Gauck-Behörde als inoffizieller Mitarbeiter der Staatssicherheit aktenkundig geführt werde. Wegen des genauen Inhalts des Schreibens wird auf die mit Schriftsatz der Beklagten vom 21. November 2002 überreichte Kopie (Bl. 44 d.A.) Bezug genommen. Am 9. Mai 2001 führte die Beklagte ein Gespräch mit dem Kläger, in dem ihm der Vorwurf unterbreitet wurde, er sei als IM des Staatssicherheitsdienstes der DDR tätig geworden. Der Kläger erklärte in diesem Gespräch, er sei mit 17 Jahren von einer ihm nicht bekannten Stelle angeworben worden, er sei jedoch 1969 „vom Zug abgesprungen”, nachdem er bemerkt habe, „dass er in die falsche Richtung fahrt”. Die Beklagte setzte sich sodann mit dem Bundesbeauftragten für die Unterlagen des ...