Entscheidungsstichwort (Thema)
Treuwidrige Vereitelung der Teilnahme an einem Abfindungsprogramm. Anspruch auf Abschluss eines Aufhebungsvertrages zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses bei formwidriger Abänderung des Anmeldeverfahrens zur Beteiligung am Abfindungsprogramm eines Rahmensozialplans
Leitsatz (amtlich)
1. Wird das in einer Betriebsvereinbarung vorgesehene Verfahren zur Auswahl von Interessierten zu einem freiwilligen Abfindungsprogramm nicht eingehalten und ist das Verfahren technisch nicht einwandfrei abgelaufen, kann dem einzelnen Bewerber ein Anspruch auf Abschluss eines Aufhebungsvertrages zustehen.
2. Die Änderung einer Betriebsvereinbarung in einem einzelnen Punkt bedarf der Schriftform des § 77 Abs. 2 BetrVG.
Leitsatz (redaktionell)
1. § 162 BGB drückt den allgemeinen Rechtsgrundsatz aus, dass niemand aus einem von ihm treuwidrig herbeigeführten Ereignis Vorteile herleiten darf.
2. Eine Betriebsvereinbarung bedarf zu ihrer Wirksamkeit der Schriftform (§ 77 Abs. 2 Satz 1 BetrVG) und ist von beiden Seiten zu unterzeichnen; diese Anforderungen gelten auch für eine inhaltliche Abänderung einer gültigen Betriebsvereinbarung.
3. Solange eine Betriebsvereinbarung als Gesamtregelwerk gültig bleibt und Rechte und Pflichten der Beschäftigten regelt, bedarf es unter dem Gesichtspunkt der Rechtssicherheit und der Publizität bei Änderung des Vereinbarungsinhaltes der Schriftform.
4. Auch wenn ein Interessenausgleich nicht die Wirkung einer Betriebsvereinbarung hat, sieht das Gesetz die Schriftform vor; es entsteht eine kollektivrechtliche Bindung an die Inhalte.
5. Hat die Arbeitgeberin das Auswahlverfahren für die Ermittlung der Beschäftigten, denen sie auf Grundlage eines Rahmensozialplans einen Auflösungsvertrag mit Abfindungszahlung anzubieten bereit war, ohne ausreichende kollektivrechtliche Rechtsgrundlage durchgeführt und unter formwidriger Abänderung des Anmeldeverfahrens den Zugang der Erklärung des Arbeitnehmers nach dem kollektiv-rechtlich vereinbarten Meldeverfahren objektiv vereitelt, hat der Arbeitnehmer unter dem Gesichtspunkt der Zugangsvereitelung einen Erfüllungsanspruch aus dem Rahmensozialplan.
Normenkette
BetrVG § 77 Abs. 2; BGB §§ 130, 162, 242, 280 Abs. 1; BetrVG § 77 Abs. 2 S. 1, § 112 Abs. 1 Sätze 1-2
Verfahrensgang
ArbG Hannover (Entscheidung vom 14.10.2015; Aktenzeichen 13 Ca 244/15) |
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Hannover vom 14.10.2015, 13 Ca 244/15, teilweise abgeändert.
1. Die Beklagte wird verurteilt, mit dem Kläger einen Aufhebungsvertrag zur Beendigung seines Arbeitsverhältnisses auf Basis des Rahmensozialplans "Montreal" im sogenannten offenen Abfindungsprogramm abzuschließen.
2. Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
3. Von den Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger 5/6, die Beklagte 1/6.
4. Die Revision wird für die Beklagte zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Teilnahme an einem betrieblichen Abfindungsprogramm.
Der 2. Satz lautet: Der Kläger ist ursprünglich seit dem 01.01.2006 als Salesmanager beschäftigt (Arbeitsvertrag Bl.11 ff. d.A.) bei der C. & Co.KG. Diese ist inzwischen nicht mehr existent. Jetziger Arbeitgeber des Klägers ist die Beklagte. Der Vierteljahreseinkommen des Klägers beträgt etwa 32.500,00 € brutto. Die E.-Gruppe ist seit Oktober 2014 Teil des T.-Konzerns. Aus Anlass der Zusammenführung von E. und T. sollen bis zum Jahr 2018 rund 1.600 der bisher 9.100 Vollzeitstellen abgebaut werden. Dies ist Gegenstand eines Rahmensozialplans "Montreal", der am 06.02.2015 mit dem Konzernbetriebsrat geschlossen wurde (Bl.11 - 44 d.A.). Zeitgleich wurde Rahmeninteressenausgleich und ein erster Teilinteressenausgleich abgeschlossen (Bl.169 - 174 d.A.). Nach diesen beiden Regelungen soll der Personalabbau grundsätzlich durch Aufhebungsvereinbarungen erfolgen. Es ist insoweit ein gesteuertes Abfindungsprogramm vorgesehen, das nach dem ersten Teilinteressenausgleich eine Mitarbeiterzahl von 700 Vollzeitstellen umfasst. Daneben ist ein offenes Abfindungsprogramm vorgesehen, das nach dem ersten Teilinteressenausgleich auf 100 Vollzeitstellen begrenzt war. Nach der Anlage 5 des Teil-Interessenausgleichs (Bl.177 d.A.) fielen davon 21 Stellen in den Bereich B2B, in dem auch der Kläger tätig ist.
In Ziff.2 der Anlage 2 des Rahmensozialplanes (Bl. 53 - 58 d.A.) ist das Verfahren des offenen Abfindungsprogramms wie folgt geregelt: Es wird eine externe Koordinationsstelle eingerichtet, die das offene Abfindungsprogramm steuern soll. Dies ist die Firma M. Interessierte Mitarbeiter können sich per E-Mail bei der externen Koordinationsstelle melden. Pflicht der externen Koordinationsstelle ist es einerseits, den exakten zeitlichen Eingang der Meldung zu dokumentieren und einen Abgleich mit den verschiedenen Listen durchzuführen sowie letztlich der Personalabteilung die Namen derjenigen Mitarbeiter mitzuteilen, die die Voraussetzungen für einen Auflösungsvertrag erfüllen. Da die Formel zur Berechnung der Abfindungshöhe in ...