Entscheidungsstichwort (Thema)
Unterlassungsantrag. Globalantrag. Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung. kollektiver Bezug. Mitbestimmung bei Regelungen zur Vorlage von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen. unbegründeter Globalantrag des Betriebsrats auf Unterlassung der Anforderung von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen bei Erkrankungen von weniger als drei Kalendertagen
Leitsatz (amtlich)
1. Es ist nicht ausgeschlossen, dass die Anordnung der Vorlage von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ab dem ersten Tag der Arbeitsunfähigkeit im Einzelfall lediglich das Verhältnis Arbeitgeber-Arbeitnehmer betrifft und daher vom Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG nicht umfasst wird.
2. Soweit ein Antrag auch nach Auslegung auch Maßnahmen ohne kollektiven Bezug umfasst, solche Maßnahmen nach den Umständen aber in Frage kommen und der Betriebsrat hierfür ein Mitbestimmungsrecht im Rahmen des § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG reklamiert, ist der Antrag daher als zu umfassender Globalantrag als unbegründet abzuweisen.
Normenkette
EFZG § 5 Abs. 1 S. 3; BetrVG § 87 Abs. 1 S. 1; MTV Einzelhandel in Bayern § 15 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Würzburg (Entscheidung vom 12.05.2010; Aktenzeichen 7 BV 22/09) |
Tenor
1. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Würzburg vom 12.05.2010, Az.: 7 BV 22/09, wird zurückgewiesen.
2. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe
A. Die Beteiligten streiten, soweit in der Beschwerdeinstanz noch von Interesse, darüber, ob die zu 2) beteiligte Arbeitgeberin verpflichtet ist, die Zustimmung des zu 1) beteiligten Betriebsrats einzuholen oder durch eine Entscheidung der Einigungsstelle ersetzen zu lassen, bevor sie von Arbeitnehmern des Betriebes Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen einfordert, die nicht länger als zwei Kalendertage arbeitsunfähig erkrankt sind.
Die Beteiligte zu 2) ist Mitglied im Landesverband des Bayerischen Einzelhandels. Sie wendet die Tarifverträge des Bayerischen Einzelhandels auch auf nicht tarifgebundene Arbeitnehmer an.
§ 15 des Manteltarifvertrags für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Einzelhandel in Bayern vom 5. August 2008, gültig ab 01.01.2007 (künftig: MTV), enthält folgende Regelung:
"§ 15
Arbeitsversäumnis
1. Bei Arbeitsversäumnis ist dem Arbeitgeber unverzüglich unter Angabe der Gründe Mitteilung zu machen.
Im Falle der Erkrankung hat der/die Beschäftigte dem Arbeitgeber spätestens am dritten Kalendertag eine Bescheinigung des Arztes oder der Krankenkasse vorzulegen, aus der die Arbeitsunfähigkeit, ihr Beginn und die voraussichtliche Dauer ersichtlich sind. Fällt der letzte Tag der Frist auf einen Sonntag oder staatlich anerkannten Feiertag, tritt an die Stelle eines solchen Tages der folgende Werktag.
...
8. Im Übrigen gelten die gesetzlichen Bestimmungen."
Inhaltlich wortgleiche Regelungen enthielt der Vorgängertarifvertrag in § 16 MTV.
Die Beteiligte zu 2) forderte im Jahr 2007 zwei Mitarbeiter jeweils einmal und im Jahre 2009 einen weiteren Mitarbeiter auf, vom ersten Tag einer Erkrankung an eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorzulegen. Wegen der Einzelheiten wird auf Blatt 4 bis 8 der Akten verwiesen.
Der Beteiligte zu 1) ist der Ansicht, dass die tarifliche Regelung abschließend sei. Nach § 15 Nr. 1 MTV könnten sich die Arbeitnehmer bis zum dritten Kalendertag einer Erkrankung Zeit lassen, eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung dem Arbeitgeber vorzulegen. Dies bedeute auch, dass der Arbeitnehmer bis längstens zum dritten Kalendertag einer Erkrankung zuwarten dürfe, um sich überhaupt eine ärztliche Bescheinigung zu besorgen.
Sollte die tarifliche Regelung nicht abschließend sein, sei ein Mitbestimmungsrecht bei der Frage, ob die Arbeitgeberin von ihrem Ermessen nach § 15 Abs. 1 Satz 3 MTV Gebrauch machen dürfe, gegeben. Es sei an der Arbeitgeberin darzulegen, dass die von ihr bisher aufgeforderten Arbeitnehmer jeweils Einzelfälle seien und ohne Bezug zu weiteren Arbeitnehmern eine herausgreifende Behandlung erführen.
Der Beteiligte zu 1) beantragte erstinstanzlich
festzustellen, dass die Arbeitgeberin nicht berechtigt ist, Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen von Arbeitnehmern des Betriebs einzufordern, auf denen die Arbeitsunfähigkeit ab dem ersten Krankheitstag bescheinigt wird.
Hilfsweise,
der Arbeitgeberin aufzugeben, es zu unterlassen, ohne Zustimmung des Betriebsrats Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen von Arbeitnehmern des Betriebes einzufordern, auf denen die Arbeitsunfähigkeit ab dem ersten Krankheitstag bescheinigt werde.
Die Beteiligte zu 2) beantragte erstinstanzlich:
Die Anträge werden abgewiesen.
Sie ist der Auffassung, dass sie ohne Beteiligung des Betriebsrats in begründeten Einzelfällen den Nachweis einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bereits ab dem ersten Tag der Arbeitsunfähigkeit verlangen könne. Es müsse klar getrennt werden zwischen dem Zeitpunkt der Vorlage der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung und dem Zeitraum, auf den sich diese erstrecke. Gestritten werde hier über den Beginn der Nachweispflicht und nicht über den Zeitpunkt der Vorlage...