Entscheidungsstichwort (Thema)
Einladung zur Betriebsversammlung zur Wahl eines Wahlvorstands. Coronabedingte Unmöglichkeit der Durchführung einer Betriebsversammlung. Einladung zur Betriebsversammlung nach Lockerung der Infektionsschutzregeln
Leitsatz (redaktionell)
1. § 17 Abs. 4 BetrVG lässt erkennen, dass es immer einer Einladung bedarf, wenn eine Betriebsversammlung einen Wahlvorstand wählen soll. Ein Verzicht auf eine Einladung ist nur dann gerechtfertigt, wenn einer solchen Einladung Hindernisse entgegenstehen, deren Beseitigung dem die gerichtliche Bestellung eines Wahlvorstands Betreibenden nicht möglich oder doch wenigstens nicht zumutbar ist.
2. Ist durch infektionsschutzrechtliche Regelungen die Durchführung einer Betriebsversammlung unmöglich oder unzumutbar, ist das Abhalten einer vorherigen Wahlversammlung entbehrlich und der Weg zu den Arbeitsgerichten eröffnet. Eine "Einladung" i.S.d. § 17 Abs. 4 BetrVG wäre widersinnig, da man dann gleichzeitig darauf hinweisen müsste, dass die Betriebsversammlung unter den Bedingungen der Pandemie gar nicht stattfinden könne.
3. Dürfen Betriebsversammlungen unter Einhaltung der 3G-Regel, Maskenpflicht und Einhaltung von Hygienekonzepten wieder stattfinden, stehen einer Einladung zu einer Betriebsversammlung nach § 17 Abs. 4 BetrVG keine Hindernisse entgegen.
Normenkette
BetrVG § 17 Abs. 3-4; BetrVG 1952 § 16 S. 2; BetrVG § 17 Abs. 2, §§ 18, 18a, 129 Fassung: 2022-03-19; 15. BayIfSMV § 8 Abs. 2
Verfahrensgang
ArbG Bamberg (Entscheidung vom 18.08.2021; Aktenzeichen 4 BV 3/21) |
Tenor
1. Auf die Beschwerde der Beschwerdeführerin und Beteiligten zu 5) wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Bamberg vom 18.08.2021, Az. 4 BV 3/21, abgeändert und der Antrag abgewiesen.
2. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten über die gerichtliche Bestellung eines Wahlvorstandes zur Durchführung einer Betriebsrats-Wahl im Betrieb der Arbeitgeberin in L. Die Arbeitgeberin und Beteiligte zu 5) ist ein Unternehmen mit Sitz in B. und spezialisiert auf die Herstellung von Medizinprodukten an verschiedenen Standorten. Bei der Beteiligten zu 5) ist weder ein Gesamtbetriebsrat noch ein Konzernbetriebsrat gebildet. Im Betrieb am Standort L., in dem regelmäßig ca. 369 Arbeitnehmer beschäftigt sind, besteht kein Betriebsrat.
Drei zum damaligen Zeitpunkt wahlberechtigte Arbeitnehmer des Betriebes L. luden zum Zweck der Einleitung einer Betriebsratswahl mit Schreiben vom 09.03.2020 zu einer Betriebsversammlung zur Wahl eines Wahlvorstandes am 18.03.2020 in die H.-Halle ein. Das Einladungsschreiben wurde an verschiedenen Stellen im Betrieb, insbesondere den schwarzen Brettern, aufgehängt und an alle abwesenden Arbeitnehmer versandt. Die Beteiligte zu 5) bestätigte mit E-Mail vom 12.03.2020 die Kosten für die Anmietung der H.-Halle zu übernehmen.
Mit E-Mail vom 12.03.2020 teilte der Chief Human Resources Officer der N. Inc., einer Muttergesellschaft der Arbeitgeberin, allen Arbeitnehmern mit, dass aufgrund der Verbreitung des Corona-Virus größere Zusammenkünfte (mehr als 25 Arbeitnehmer) zu vermeiden und Besprechungen in Konferenzräumen auf bis zu zehn Arbeitnehmer zu beschränken seien. Am 13.03.2020 fand eine Besprechung mit den zu der Betriebsversammlung einladenden Arbeitnehmern statt, in der diese seitens der Arbeitgeberin auf die Covid-Situation und die daraus bestehenden Gefahren für die Belegschaft hingewiesen wurden.
Am 13.03.2020 übersandten die drei zu der Betriebsversammlung einladenden Arbeitnehmer an die Belegschaft eine E-Mail, in der diese mitteilten, dass sie sich aufgrund der neuesten Entwicklungen zum Corona-Virus, unter anderem dem Veranstaltungsverbot, entschlossen haben, die Betriebsversammlung zur Wahl des Wahlvorstandes am 18.03.2020 auf unbestimmte Zeit zu verschieben und ein neuer Termin verkündet werde, sobald sich die Lage verbessert habe.
Die Bayerische Staatsregierung rief am 16.03.2020 den Katastrophenfall aus und gab weitgehende Versammlungsbeschränkungen ab dem 17.03.2020 bekannt.
Die Antragstellerinnen sind der Ansicht, dass das Arbeitsgericht den Wahlvorstand nach § 17 Abs. 4 BetrVG zu bestellen habe. Die Durchführung einer Betriebsversammlung mit ca. 390 Arbeitnehmern sei aufgrund der Corona-Pandemie weder zum Zeitpunkt der Absage noch bei Einleitung des Beschlussverfahrens auf absehbare Zeit möglich gewesen. Ein Verzicht auf das Erfordernis der vorherigen Einladung zu einer Betriebsversammlung sei dann zu rechtfertigen, wenn einer solchen Einladung Hindernisse entgegenstünden, deren Beseitigung den die gerichtliche Bestellung eines Wahlvorstandes Betreibenden nicht möglich oder nicht zumutbar sei. Dies könne nicht dazu führen, dass angesichts der Absage der Betriebsversammlung, zu der zunächst eingeladen worden sei, gegenwärtig und bis auf weiteres aufgrund der bestehenden pandemiebedingten Beschränkungen die Wahl eines Betriebsrates überhaupt nicht betrieben werden könne. Eine Betriebsversammlung sei bis auf weiteres durch die 12. Infekti...