Entscheidungsstichwort (Thema)
Ausschluss von Betriebsratsmitgliedern bei der Beratung eigener Angelegenheiten. unbegründeter Antrag des Betriebsrats auf Einrichtung einer Einigungsstelle zur Behandlung von Beschwerden
Leitsatz (amtlich)
Betriebsratsmitglieder, die eine Beschwerde im Sinne des § 85 BetrVG beim Betriebsrat angebracht haben, sind bei der Beschlussfassung des Betriebsrats sowohl hinsichtlich der Berechtigung der Beschwerde (§ 85 Absatz 1 BetrVG) als auch hinsichtlich der Anrufung einer Einigungsstelle (§ 85 Absatz 2 BetrVG) gemäß § 25 Absatz 1 Satz 2 BetrVG ausgeschlossen. Die mit ihrer Mitwirkung gefassten Beschlüsse sind unwirksam und stehen der Einrichtung einer Einigungsstelle nach § 98 ArbGG entgegen.
Normenkette
ArbGG § 98; BetrVG §§ 25, 85, 25 Abs. 1 S. 2, § 85 Abs. 1-2
Verfahrensgang
ArbG Würzburg (Entscheidung vom 06.06.2012; Aktenzeichen 6 BV 25/12) |
Tenor
1. Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin vom 02.07.2012 wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Würzburg vom 06.06.2012 aufgehoben.
2. Der Antrag wird zurückgewiesen.
Gründe
I. Die Beteiligten streiten über die Einrichtung einer Einigungsstelle wegen der Beschwerden einer Reihe von Mitarbeitern.
Die Antragsgegnerin gehört der H...gruppe an und betreibt ein Logistikunternehmen. Sie hat Standorte in H... und G... . In G... befindet sich ein Call-Off-Lager. Der Antragsteller ist der in G... gewählte neunköpfige Betriebsrat.
Dem Antragsteller gehören u.a. Frau S..., Frau B... (Ersatzmitglied) und Frau Sc... an.
Der Antragsteller richtete unter dem 05.04.2012 ein Schreiben an die Antragsgegnerin, in dem er auf eine von 85 Mitarbeitern unterschriebene Beschwerde Bezug nahm und mitteilte, dass er die Beschwerde für berechtigt erachte. Die Beschwerde war von Frau S..., Frau B... und Frau Sc... mit unterschrieben.
In der Tagesordnung zur Betriebsratssitzung am 04.04.2012 befand sich unter TOP 9 das Thema "Beschwerde wegen Listenverteilung - Berechtigung und Abhilfe". In der Betriebsratssitzung waren u.a. Frau S..., Frau B... und Frau Sc... anwesend und stimmten über den TOP 9 ab. Es wurde einstimmig beschlossen, dass die Beschwerde berechtigt sei.
In der Tagesordnung zur Betriebsratssitzung am 25.04.2012 wurde als TOP 10 aufgeführt: "Beschwerde Listenverteilung - Anrufung der Einigungsstelle". In der Sitzung am 25.04.2012 waren neun Betriebsratsmitglieder anwesend, darunter Frau S..., Frau B... und Frau Sc.... Bei der Abstimmung bezüglich TOP 10, an der die genannten Betriebsratmitglieder teilnahmen, wurde mit neun Ja-Stimmen beschlossen, eine Einigungsstelle zum Thema "Beschwerde Listenverteilung" anzurufen.
Mit Schreiben vom 26.04.2012 an die Antragsgegnerin erklärte der Antragsteller die Verhandlungen über den Sachverhalt für gescheitert.
Am 07.05.2012 leitete er das vorliegende Verfahren beim Arbeitsgericht Würzburg ein.
Mit Beschluss vom 06.06.2012 bestimmte das Arbeitsgericht Herrn Richter am Arbeitsgericht O... Z... als Vorsitzenden der beantragten Einigungsstelle und setzte die Zahl der Beisitzer auf je zwei fest.
Der Beschluss wurde der Antragsgegnerin am 18.06.2012 zugestellt.
Die Antragsgegnerin legte gegen den Beschluss am 02.07.2012 Beschwerde ein und begründete sie gleichzeitig.
Die Antragsgegnerin macht geltend, ein ordnungsgemäßer Betriebsratsbeschluss hinsichtlich der Entscheidung, eine Einigungsstelle anzurufen, liege nicht vor. Im Übrigen sei die Einigungsstelle offensichtlich unzuständig.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Beschluss des Arbeitsgerichts Würzburg, Kammer Aschaffenburg, vom 06.06.2012, Az. 6 BV 25/12, abzuändern und den Antrag des Betriebsrats zurückzuweisen.
Der Antragsteller beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
In der Sitzung am 18.09.2012 haben die Beteiligten übereinstimmend eine Entscheidung im schriftlichen Verfahren beantragt.
II. Die Beschwerde ist zulässig. Sie ist statthaft, § 98 Absatz 2 Satz 1 ArbGG, sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, § 98 Absatz 2 Satz 2 ArbGG.
Die Beschwerde ist begründet.
Allerdings ist die vom Antragsteller beabsichtigte Einigungsstelle nicht offensichtlich unzuständig.
Dies ist vom Erstgericht umfassend und zutreffend ausgeführt worden.
Es bestehen indes formelle Hindernisse, die der Einigungsstelle entgegenstehen. Weder der Beschluss des Antragstellers vom 04.04.2012, mit dem die Beschwerde als berechtigt angesehen wurde, noch der Beschluss vom 25.04.2012, der die Anrufung der Einigungsstelle beinhaltete, war formell ordnungsgemäß. An der Beratung und Beschlussfassung über die entsprechenden Tagesordnungspunkte haben Betriebsrätinnen teilgenommen, die verhindert waren, § 25 Absatz 1 Satz 2 BetrVG.
Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, der sich das erkennende Gericht anschließt, ist ein Betriebsratsmitglied bei Maßnahmen und Regelungen, die es in seiner Stellung als Arbeitnehmer individuell und unmittelbar betreffen, grundsätzlich von seiner Organtätigkeit ausgeschlossen. Das folgt aus dem allgemeinen Grundsatz, wonach niemand "Richter in eigener Sache" sei...