Entscheidungsstichwort (Thema)

Fehlendes Rechtsschutzbedürfnis für einen Antrag nach § 100 ArbGG auf gerichtliche Einsetzung einer Einigungsstelle. Zulässigkeit einer Anschlussbeschwerde im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren

 

Leitsatz (amtlich)

Einem Antrag auf gerichtliche Einsetzung einer Einigungsstelle gemäß § 100 ArbGG fehlt das Rechtsschutzbedürfnis, wenn zuvor nicht der nach § 74 Abs. 1 Satz 2 BetrVG vorgesehene Versuch einer Einigung mit Vorschlägen zur Beilegung der Meinungsverschiedenheit unternommen wurde. Ein hinreichender Versuch einer Einigung bedingt - zumindest grob umrissen - eine inhaltliche Konkretisierung, zu welchem Regelungsgegenstand welche Regelung gewünscht wird.

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Das Rechtsschutzbedürfnis für einen Antrag nach § 100 ArbGG auf gerichtliche Einsetzung einer Einigungsstelle fehlt grundsätzlich dann, wenn zuvor nicht der nach § 74 Abs. 1 Satz 2 BetrVG vorgesehene Versuch einer Einigung unternommen und Vorschläge für die Beilegung der Meinungsverschiedenheiten gemacht worden sind. Das Arbeitsgericht kann mit einem Antrag nach § 100 ArbGG erst angerufen werden, wenn sich entweder die Gegenseite Verhandlungen über den Regelungsgegenstand ausdrücklich oder konkludent verweigert hat oder mit Verständigungswillen geführte Verhandlungen zwar stattgefunden haben, jedoch gescheitert sind.

2. Die Einlegung einer Anschlussbeschwerde im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren ist grundsätzlich zulässig. Dies ergibt sich aus der Verweisungskette der §§ 87 Abs. 2, 66 Abs. 1 ArbGG i.V.m. § 524 ZPO. Dies gilt auch für das Verfahren nach § 100 ArbGG.

 

Normenkette

ArbGG § 100; BetrVG § 74 Abs. 1 S. 2, § 76 Abs. 1, § 2 Abs. 1 S. 2, § 76 Abs. 3 S. 1, § 87 Abs. 1 Nr. 7; ArbSchG § 5; ArbGG § 66 Abs. 1, § 87 Abs. 2; ZPO § 524

 

Verfahrensgang

ArbG Bayreuth (Entscheidung vom 18.04.2023; Aktenzeichen 3 BV 2/23)

 

Tenor

Unter Zurückweisung der Anschlussbeschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Bayreuth vom 18.04.2023 - 3 BV 2/23 - abgeändert und der Antrag zurückgewiesen.

 

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten über die Einsetzung einer Einigungsstelle zum Verfahren der Durchführung von Gefährdungsbeurteilungen zu den Regelungsgegenständen psychische Belastungen und Raumklima.

Der Antragsteller ist der gewählte fünfköpfige Betriebsrat der Beteiligten zu 2. Betriebsratsvorsitzender ist Herr G.... Im Betrieb der Beteiligten zu 2 sind 59 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigt.

Der Antragsteller hat in seiner Sitzung am 15.12.2022 beschlossen, von seinem Initiativrecht Gebrauch zu machen und die Beteiligte zu 2 unter Hinzuziehung von Frau Rechtsanwältin S... sowie Frau Dipl.-Soz. F..., Gesellschaft für A... mbH, als Sachverständige zu Verhandlungen hierzu aufzufordern. Die Beteiligte zu 2 hat die Hinzuziehung abgelehnt.

Am 19.01.2023 hat ein Termin der Beteiligten stattgefunden. In diesem Termin wurde vor allem die Erforderlichkeit der Hinzuziehung externen Sachverstandes für den Antragsteller erörtert. Eine Einigung wurde hierüber nicht erzielt.

Der Antragsteller hat in seiner Sitzung am 03.02.2023 beschlossen, die Verhandlungen zu einer Betriebsvereinbarung mit den im Antrag genannten Regelungsgenständen für gescheitert zu erklären und seine Verfahrensbevollmächtigten mit sämtlichen notwendigen Schritten zur Einrichtung der Einigungsstelle ggf. im Verfahren nach § 100 ArbGG in allen Instanzen zu beauftragen.

Ein durch die Beteiligte zu 2 initiiertes Gespräch der Beteiligten unter Hinzuziehung der internen Fachkraft für Arbeitssicherheit am 02.03.2023 hat infolge des Nichterscheinens des Antragstellers nicht stattgefunden.

Der Antragsteller hat erstinstanzlich vorgetragen, dass die Einigungsstelle einzusetzen sei. Im Betrieb existiere keine Betriebsvereinbarung zu diesen Regelungsgegenständen. Darüber hinaus handele es sich bei den Regelungsgegenständen um solche der erzwingbaren Mitbestimmung nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG. Damit stellten sich bei einer Gefährdungsbeurteilung hinsichtlich jedes Beschäftigten zumindest die Fragen, welche Tätigkeiten beurteilt werden sollen, worin die mögliche Gefahr bei der Arbeit bestehe, woraus sie sich ergebe und mit welchen Methoden und Verfahren das Vorliegen und der Grad einer solchen Gefährdung festgestellt werden solle. Daneben sei das Verfahren zur Maßnahmenfestlegung, Wirksamkeitskontrolle und Dokumentation der Ergebnisse festzulegen. Die Verhandlungen über eine Betriebsvereinbarung zu den im Antrag aufgeführten Regelungsgegenständen seien auch gescheitert. Hierbei sei der Tatbestand des Scheiterns nach subjektiven Kriterien der beteiligten Verhandlungspartner zu beurteilen und im Ergebnis nicht justiziabel. Ob der Arbeitgeber die Einigungsstelle wünsche oder stattdessen lieber mit dem Betriebsrat allein verhandeln möchte, sei rechtlich unerheblich. Den Betriebspartnern stehe es frei, zu entscheiden, wann sie das Scheitern der Verhandlungen feststellten, sofern wenigstens einmal ernsthafte Verhandlungen stattgefunden hätten. Die vor...

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