Entscheidungsstichwort (Thema)
Betriebsratswahl. Anfechtung. Briefwahlstimmen. Öffentlichkeit. Wirksamkeit der Betriebsratswahl
Leitsatz (amtlich)
1. Die Betriebsratswahl ist für unwirksam zu erklären, wenn der Wahlvorstand mit der Öffnung der Freiumschläge der Briefwähler vor demjenigen Zeitpunkt beginnt, der im Wahlausschreiben als Beginn des Wahlzeitraums im Wahllokal angegeben ist.
2. Dies gilt auch, wenn der Wahlvorstand hierbei vollzählig versammelt ist; es fehlt an der Öffentlichkeit der Sitzung.
3. Es kann dahinstehen, ob die Wahl auch deswegen für unwirksam zu erklären ist, weil die persönliche Stimmabgabe einiger Wähler schon vor dem als Beginn des Wahlzeitraums benannten Zeitpunkt zugelassen wurde und weil der Wahlvorstand sich bei Briefwählern, die ihre Stimme zu einem bestimmten Zeitpunkt noch nicht abgegeben hatten, erkundigt hat, ob sie die zugesandten Briefwahlunterlagen erhalten hätten.
Normenkette
BetrVG § 19; WO-BetrVG § 26
Verfahrensgang
ArbG Nürnberg (Beschluss vom 10.04.2007; Aktenzeichen 12 BV 75/06) |
Tenor
I. Die Beschwerde des Antragsgegners und Beteiligten zu 2.) gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Nürnberg vom 10.04.2007, Az. 12 BV 75/06, wird zurückgewiesen.
II. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Tatbestand
I.
Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit einer Betriebsratswahl.
Die Antragstellerin betreibt als Einzelhandelsunternehmen zahlreiche Verkaufsstellen zum Vertrieb von Drogeriewaren. Nach einem mit der Gewerkschaft HBV abgeschlossenen Tarifvertrag werden für bestimmte Regionen Betriebsräte gebildet. In der Region, für die der Antragsgegner gewählt wurde, liegen 33 Verkaufsstellen.
Am 03.04.2006 erließ der für den Betrieb eingesetzte Wahlvorstand das Wahlausschreiben zur Wahl des Betriebsrates. Des genauen Wortlautes dieses Wahlausschreibens wegen wird auf die in der Sitzung des Arbeitsgerichts vom 03.04.2007 übergebene Ablichtung Bezug genommen (Bl. 78 f. d.A.). In diesem Wahlausschreiben heißt es unter anderem:
„Die Betriebsratswahl findet am 16.05.2006 um 14 Uhr in C. statt.”
Die Auszählung der Stimmen sollte öffentlich am 16.05.2006 um 14.00 in C. stattfinden. Für alle Betriebsteile und Kleinstbetriebe außer in der Verkaufsstelle C. – dort sind zwei Arbeitnehmer beschäftigt – war obligatorische schriftliche Stimmabgabe nach § 24 Abs. 3 der Wahlordnung beschlossen. Neben dem Betriebsratsbüro, das in der Verkaufsstelle in C. gelegen ist und gleichzeitig als Betriebsadresse des Wahlvorstandes benannt ist, waren Abdrucke der Wahlordnung und der Wählerliste in der Verkaufsstelle in D. und in derjenigen in E. zur Einsicht ausgelegt.
Nach Versendung der Briefwahlunterlagen fragte die Wahlvorstandsvorsitzende telefonisch bei einzelnen Mitarbeitern nach, ob diese die Briefwahlunterlagen auch erhalten hätten. Soweit Rückumschläge nicht eingegangen waren, erfolgte ebenfalls nochmals eine telefonische Nachfrage durch die Wahlvorstandsvorsitzende.
Für die Wahl wurden zwei Vorschlagslisten bekannt gemacht, die Liste 1 „F.” und die Liste 2 „G.”. Als die beiden Mitarbeiterinnen der Verkaufsstelle C., für die persönliche Stimmabgabe vorgesehen war, im Wahllokal – dem Betriebsratsbüro – bis etwa um 13.15 Uhr ihre Stimme abgegeben hatten, begann der Wahlvorstand gegen 13.15 Uhr mit der Öffnung der eingegangenen, an den Wahlvorstand adressierten Freiumschläge der Briefwähler. Die Türe des Betriebsratsbüros war hierbei geschlossen. Die Freiumschläge wurden geöffnet, die Wahlumschläge, soweit vom Wahlvorstand für in Ordnung befunden, in die Wahlurne eingeworfen. Dabei stellte der Wahlvorstand fest, dass bei mehreren Wählern die Erklärung über die persönliche Stimmabgabe nicht im Freiumschlag enthalten war. Bis gegen 14.00 Uhr waren alle Wahlumschläge in die Wahlurne eingeworfen.
Nach der Stimmenauszählung stellte der Wahlvorstand das Wahlergebnis fest. Hiernach entfielen auf die Liste 1 (F.) 78 Stimmen, die Liste 2 (G.) 21 Stimmen. Drei Stimmen wurden für unwirksam erklärt. Noch am 16.05.2006 erfolgte die Bekanntmachung des Wahlergebnisses.
Mit ihrem am 26.05.2006 eingegangenen Antrag begehrt die Antragstellerin, die Betriebsratswahl für unwirksam zu erklären. Sie trägt vor, die Disponentin H. sei am 16.05.2006 gegen 13.40 Uhr im Wahllokal erschienen, die Listenvertreterin der Liste 2, die Arbeitnehmerin I., sowie die Bewerberin J. um 13.50 Uhr. Sie hätten feststellen müssen, dass bei ihrem Erscheinen die Briefumschläge der Briefwähler bereits geöffnet gewesen seien, dass Briefumschläge auch aussortiert gewesen seien. Die Bitte, diese Briefumschläge ansehen zu dürfen, sei vom Wahlvorstand abgelehnt worden. Die Wahlunterlagen seien offensichtlich einer nicht öffentlichen Vorprüfung durch den Wahlvorstand unterzogen worden. Diese geheime Prüfung sei offenbar bereits weit vor Beginn der Stimmauszählung erfolgt und nicht in öffentlicher Sitzung. Zudem sei zu beanstanden, dass die Wahlvorstandsvorsitzende vor der Wahl Mitarbeiter angerufen und nachgefragt habe, warum denn diese Mitarbeiterin noch...