Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitsentgelt
Leitsatz (amtlich)
Wird eine um drei Monate hinausgeschobene lineare Tariferhöhung durch eine tarifliche Einmalzahlung abgegolten, kann darauf – vorbehaltlich der Mitbestimmung des Betriebsrates – eine übertarifliche Zulage angerechnet werden.
Normenkette
TVG § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1; BGB § 611
Verfahrensgang
ArbG Nürnberg (Urteil vom 27.09.2000; Aktenzeichen 7 Ca 943/00 W) |
Nachgehend
Tenor
1. Auf die Berufung der Beklagten werden die Endurteile des Arbeitsgerichts Nürnberg, Gerichtstag Weißenburg vom 27.09.2000, AZ 7 Ca 936, 938, 939, 940, 941 u. 943/00 W abgeändert.
2. Die Klagen werden abgewiesen.
3. Die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens tragen die jeweiligen Klageparteien. Die Kosten des Berufungsrechtszuges tragen die Klageparteien je zu 1/6.
4. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über den Anspruch auf eine tarifliche Einmalzahlung vor dem Hintergrund der Verrechnung mit einer übertariflichen Zulage. Die Klageparteien sind sämtlich langjährig beschäftigte gewerbliche Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer der Beklagten, einem Unternehmen der Bekleidungsindustrie. Auf die Arbeitsverhältnisse der Parteien finden kraft Organisationszugehörigkeit die Tarifverträge der bayerischen Bekleidungsindustrie Anwendung. Nachdem der vorherige Lohntarifvertrag zum 30.04.1999 geendet hatte, schlossen die Tarifvertragsparteien am 26.05.1999 einen neuen Lohntarifvertrag für die arbeiterrentenversicherungspflichtigen Arbeitnehmer der Bekleidungsindustrie Bayerns (LTV-Bekleidung). Dort war vereinbart, dass die Tariflöhne ab 01.08.1999 um 3,1 % erhöht werden sollten. Weiter wurde im § 2 Ziff. 4 geregelt, dass alle Vollzeitbeschäftigten eine Einmalzahlung von DM 200,– erhalten, die im Juli 1999 auszuzahlen ist. Für Teilzeitbeschäftigte und solche Arbeitnehmer, die im Zeitraum Mai bis Juli 1999 keinen vollen Entgeltanspruch erwerben oder in dieser Zeit aus- oder eintreten, waren zeitanteilige Quoten in Bezug auf die Einmalzahlung festgelegt.
Im Betrieb der Beklagten ist ein Betriebsrat gebildet. Anlässlich der Umstellung von Leistungslohn auf Zeitlohn schlossen die Betriebpartner unter dem 30.04.1998 folgende Betriebsvereinbarung, die u. a. in Ziff. 3 folgendes enthielt:
Bei der Tariferhöhung im Juli 1998 werden die Zulagen voll verrechnet. Ab 1999 werden die Zulagen nur zur Hälfte angerechnet, das heißt, es wird die halbe Tariferhöhung gezahlt. Dies erfolgt so lange, bis die Zulagen völlig aufgebraucht sind.
Bis zum 30.04.1999 setzte sich der Effektivlohn der Klageparteien aus dem jeweiligen Tarifstundenlohn und einer unterschiedlichen (zwischen 0,78 und 2,48 DM/Std.) übertariflichen Zulage (ÜTZ) zusammen. Entsprechend der obigen Betriebsvereinbarung verrechnete die Beklagte bei der tariflichen Einmalzahlung die Hälfte (DM 100,–) aus der ÜTZ und zahlte nur DM 100,– an die Klageparteien. Unstreitig haben die Klageparteien jedoch in den Monaten Mai bis Juli 1999 einen höheren Gesamtlohn als den Tariflohn nach dem LTV-Bekleidung erhalten, gleichviel ob die Einmahlzahlung allein dem Tariflohn Juli 1999 oder anteilig (DM 66,66) jeweils den drei Monaten zugerechnet wird.
Wegen des verrechneten Teils (DM 100,–) der Einmalzahlung haben die Klageparteien jeweils Zahlungsklagen erhoben. Das Arbeitsgericht Nürnberg, Gerichtstag Weißenburg hat den Klagen stattgegeben und dies damit begründet, dass die tarifliche Einmalzahlung eine Lohnerhöhung eigener Art sei, die deshalb einer Verrechnung mit übertariflichen Zulagen nicht zugänglich sei. Durch die Anrechnung würde der Wille der Tarifparteien unterlaufen, dass alle Arbeitnehmer unabhängig von der individuellen Lohngruppe einen Festbetrag erhalten sollten. Wegen der weiteren Einzelheiten zum erstinstanzlichen Prozessgeschehen wird auf den Inhalt der angegriffenen Entscheidung verwiesen.
In der formell ordnungsgemäßen Berufung hat die Beklagte geltend gemacht, für die streitige Forderung bestehe keine Anspruchsgrundlage, insbesondere habe die Beklagte mit der Verrechnung nicht gegen zwingendes Tarifrecht verstoßen. Unstreitig sei allen Klageparteien im einschlägigen Zeitraum mehr als der Tariflohn vergütet worden. Wenn lineare Lohnerhöhungen nach allgemeiner Meinung mit übertariflichen Zahlungen verrechnet werden können, sei kein Grund ersichtlich, warum dies bei tariflichen Einmalzahlungen über das bisherige tarifliche Niveau hinaus nicht möglich sein sollte. Eine unterschiedliche Behandlung sei nicht gerechtfertigt. Ein Lohntarifvertrag sichere nur die Mindestvergütung. Dort allein liege auch die Zuständigkeit der Tarifvertragsparteien. Ein Zugriff auf die Effektivlohnhöhe sei ihnen jedoch verwehrt. In die individualrechtliche Lohnvereinbarung könnten die Tarifvertragsparteien mangels Regelungsmacht nicht eingreifen.
Im Berufungsrechtszug sind durch Beschluss vom 12.03.2001 zu dem führenden Verfahren 1 Sa 867/00 die Verfahren 2 Sa 822/00, 3 Sa 838/00, 5 Sa 865/00, 6 Sa 66/...