Entscheidungsstichwort (Thema)
Kündigung
Leitsatz (amtlich)
Bei Vorliegen einer offenkundigen Schwerbehinderung eines Arbeitnehmers wird auch bei unrichtiger Beantwortung der Frage nach der Schwerbehinderung vor der Einstellung kein Irrtum erregt, so dass eine Anfechtung des Arbeitsvertrags nach § 123 Abs. 1 BGB nicht in Betracht kommt.
Normenkette
BGB § 123 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Nürnberg (Urteil vom 26.11.1998; Aktenzeichen 11 Ca 6221/98) |
Tenor
1. Auf die Berufung des Klägers wird das Endurteil des Arbeitsgerichts Nürnberg vom 26.11.1998 – Az.: 11 Ca 6221/98 – in Ziffern I und II abgeändert.
2. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsvertragsverhältnis zwischen den Parteien über den 19.08.1998 hinaus fortbesteht.
3. Die Beklagte trägt die Kosten beider Instanzen.
4. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Gegenstand des Rechtsstreits ist die Frage, ob das Arbeitsverhältnis durch eine mit Schreiben der Beklagten vom 17.08.1998 – dem Kläger zugegangen am 19.08.1998 – erklärte Anfechtung des Arbeitsvertrages vom 03.11.1997 geendet hat.
Der am 22.10.1974 geborene Kläger war bei der Beklagten auf der Grundlage des Arbeitsvertrages vom 03.11.1997 als Mitarbeiter im technischen Support (telefonische Beratung für Soft- und Hardware) tätig; seine Arbeitszeit betrug zuletzt etwa 20 Stunden wöchentlich.
Mit Bescheid des Versorgungsamts L. vom 17.02.1989 ist bei dem Kläger wegen der Funktionseinschränkung der Gliedmaßen und des Rumpfes bei angeborenem Minderwuchs ein Grad der Behinderung von 100 festgestellt worden.
In dem Personalbogen der Beklagten (Bl. 8 d.A.) hat der Kläger am 28.10.1997 bei der Frage nach einer Schwerbehinderung das Wort „nein” umkringelt.
Bereits in der Zeit vor dem 03.08.1998 kandidierte der Kläger für die dann am 03.09.1998 bei der Beklagten durchgeführte Betriebsratswahl.
Am 03.08.1998 kündigte die Beklagte das mit dem Kläger bestehende Arbeitsverhältnis mündlich fristlos. Daraufhin teilte der Kläger mit Schreiben vom 07.08.1998 mit, dass für alle künftigen zwischen der Beklagten und ihm stattfindenden Rechtsgeschäfte nunmehr gelte, dass er zu 100 v. H. schwerbehindert im Sinne des § 1 SchwbG sei. Diese Mitteilung nahm die Beklagte zum Anlass, mit Schreiben vom 17.08.1998 den abgeschlossenen Arbeitsvertrag wegen arglistiger Täuschung anzufechten.
Die fristlose Kündigung vom. 03.08.1998 hat die Beklagte mit Zustimmung des Klägers im Verlaufe des eingeleiteten Klageverfahrens zurückgenommen, worauf der Kläger seinerseits den Kündigungsschutzantrag zurückgenommen hat.
Das Arbeitsgericht hat die Klage auf Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis über den 19.08.1998 hinaus fortbesteht, mit der Begründung abgewiesen, die Beklagte habe den Arbeitsvertrag wirksam wegen arglistiger Täuschung über die bestehende Schwerbehinderung des Klägers angefochten. Auf den Inhalt des arbeitsgerichtlichen Urteils wird, auch hinsichtlich des erstinstanzlichen. Parteivorbringens im einzelnen, Bezug genommen.
Zur Begründung seiner dagegen gerichteten Berufung läßt der Kläger ausführen, seine Täuschungshandlung sei nicht kausal für den Abschluss des Arbeitsvertrages gewesen. Die für die Beklagte auftretenden Personen hätten selbst erkannt, dass die Schwerbehinderteneigenschaft bei ihm vorliege; diese sei für die Erfüllung des Arbeitsvertrages ohne Belang gewesen, der Vertrag sei deshalb trotz des äußeren Augenscheins in Gang gesetzt worden. Sein wesentliches Motiv für die unrichtige Ausfüllung des Bewerbungsbogens sei gewesen, dass er sich auf eine Schwerbehinderteneigenschaft zu keinem Zeitpunkt habe berufen wollen. Auch die am 03.08.1998 ausgesprochene Kündigung habe er nicht wegen seiner Schwerbehinderung angegriffen. Seine Erklärung im Bewerbungsbogen sei als Verzichtserklärung zu interpretieren. Im übrigen sei die Verwendung des Bewerbungsbogens unzulässig gewesen, weil der Betriebsrat der Beklagten nicht ordnungsgemäß nach § 94 BetrVG beteiligt worden sei. Durch die Anfechtung verstoße die Beklagte gegen das Benachteiligungsverbot und gegen den Grundsatz von Treu und Glauben; die Anfechtung müsse auch als sittenwidrig, gewertet werden, da sie sich einzig und allein auf die Behinderteneigenschaft stütze und damit in Widerspruch zu Artikel 3 Abs. 3 S. 2 GG stehe.
Der Kläger hat beantragt:
- Auf die Berufung vom 07.01.1999 hin, wird das Endurteil des Arbeitsgerichts Nürnberg vom 26.11.1998, Az.: 11 Ca 6221/98, abgeändert.
- Es wird festgestellt, dass das Arbeitsvertragsverhältnis zwischen den Parteien über den 19.08.1998 hinaus fortbesteht.
- Die Beklagte wird verurteilt, die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
Die Beklagte; hat beantragt:
- Die Berufung des Klägers wird zurückgewiesen.
- Der Kläger hat auch die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
Die Beklagte lässt bestreiten, dass der Kläger bei Beginn des Arbeitsverhältnisses beabsichtigt habe, sich nicht auf die Eigenschaft als Schwerbehinderter zu berufen. Aus dem Personalbogen sei eindeutig hervorgegangen, dass die Frage nach der Schwerbehinderteneigenschaft für die Bekl...