Entscheidungsstichwort (Thema)

Rückforderung nachprozessual an den Arbeitnehmer ausgezahlter Gesamtsozialversicherungsbeiträge. Nachgelagerte Vollstreckungsgegenklage der Arbeitgeberin bei rechtsmissbräuchlicher Geltendmachung des gesetzlichen Einwendungsausschlusses

 

Leitsatz (amtlich)

Die Zahlung der Gesamtsozialversicherungsbeiträge an die Einzugsstelle wird von der Präklusionswirkung nach § 767 Abs. 2 ZPO nicht erfasst, da sie nicht die teilweise Erfüllung eines arbeitsvertraglichen Vergütungsanspruches darstellt.

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Dem Einwendungsausschluss gemäß § 767 Abs. 2 ZPO ist ausnahmsweise der Einwand des Rechtsmissbrauchs entgegen zu halten, wenn der Rechtsmissbrauch den Bestand der zu vollstreckenden Forderung zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung betrifft und der Vollstreckungsgläubiger redlicherweise die Forderung nicht mehr geltend machen durfte; maßgeblich ist die objektive Rechtslage.

2. Ist der Arbeitnehmer aufgrund ungerechtfertigter Bereicherung ohnehin zur Rückzahlung von Bruttobeträgen verpflichtet unabhängig von seiner Bereicherungsabsicht oder seiner Kenntnis davon, ob Sozialversicherungsbeiträge zweimal abgeführt waren oder nicht, lässt seine Pflicht zur alsbaldigen Rückgewähr ein schutzwürdiges Interesse an seiner Rechtsposition entfallen, da insoweit eine Leistung gefordert wird, die alsbald zurückzuzahlen ist (dolo agit qui petit quod statim redditurus est).

3. Ist zwischen den Arbeitsvertragsparteien die Entstehung von Vergütungsansprüchen umstritten, genügt die Arbeitgeberin mit der Zahlung der Gesamtsozialversicherungsbeiträge an die Einzugsstelle erkennbar nur ihrer sozialversicherungsrechtlichen Zahlungspflicht nach § 28e SGB IV und zahlt damit nur zur Abwendung verwaltungsrechtlicher Vollstreckungsmaßnahmen, nicht aber zur Erfüllung ihrer arbeitsrechtlichen Vergütungspflicht; die Zahlung an die Einzugsstelle dient daher nicht der teilweisen Erfüllung eines arbeitsvertraglichen Vergütungsanspruchs sondern steht vielmehr unter dem Vorbehalt, dass das Bestehen der arbeitsvertraglichen Zahlungspflicht rechtskräftig festgestellt oder unstreitig wird, so dass dieser Vorbehalt die Schuldtilgung in der Schwebe hält und die Zahlung an die Einzugsstelle schon aus diesem Grund nicht von der Ausschlusswirkung des § 767 Abs. 2 ZPO erfasst wird.

 

Normenkette

ZPO § 767 Abs. 2; BGB §§ 242, 812 Abs. 1 S. 1; SGB IV § 28e

 

Verfahrensgang

ArbG Bamberg (Entscheidung vom 24.02.2015; Aktenzeichen 4 Ca 845/14)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 21.12.2016; Aktenzeichen 5 AZR 273/16)

 

Tenor

1. Die Berufung des Beklagten gegen das Endurteil des Arbeitsgerichts Bamberg -Kammer Coburg- vom 24.02.2015 - 4 Ca 845/14 wird zurückgewiesen.

2. Der Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

3. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Der Beklagte wurde am 27.05.2013 als technischer Zeichner und Stahlbauingenieur und -konstrukteur bei der Klägerin eingestellt. Als Konstrukteur waren seine Tätigkeitsschwerpunkte die technische Bearbeitung von Projekten, die Erstellung der Werkplanung, die Abstimmung mit Kunden bzw. Architekten und die Baustellenbegleitung der Projekte bis zur Abrechnung. Im Verlaufe des Arbeitsverhältnisses kam es zu einem Zerwürfnis, das damit endete, dass die Parteien vor dem Arbeitsgericht Bamberg-Kammer Coburg - Aktenzeichen 4 Ca 1085/13, um Lohnansprüche und Schadensersatzansprüche stritten. Der Beklagte begehrte Arbeitsentgelt in Höhe von 8.400,00 € brutto für die Monate September und Oktober 2013 (Verfahren Az: 4 Ca 1085/13, Arbeitsgericht Kammer - Kammer Coburg -).

Das Arbeitsgericht verurteilte mit Endurteil vom 05.06.2013 die Klägerin zur Zahlung von 4.200,00 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 08.10.2013 sowie zur Zahlung von 4.200,00 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 06.11.2013. Das Urteil ist rechtskräftig. Die Klägerin rechnete das Arbeitsverhältnis ordnungsgemäß unter Erteilung einer Abrechnung der steuer- und sozialversicherungsrechtlichen Abgaben ab.

Am 16.06.2014 überwies die Klägerin neben den errechneten Zinsen in Höhe von 243,65 € versehentlich die Gesamtbruttosumme von 8.400,00 €, also einschließlich der bereits gezahlten Sozialversicherungsbestandteile und der bereits entrichteten Lohnsteuer an den Beklagten. Einer Rückbuchung durch die Bank stimmte der Beklagte nicht zu, weswegen ihn die Klägerin mit Schreiben vom 03.07.2014 aufforderte, den überzahlten Betrag in Höhe von 3.490,04 € zurückzuzahlen. Mit weiterem anwaltlichem Schreiben vom 29.07.2014 lehnte der Beklagtenvertreter die Rückzahlung ab. Nach erneuter Aufforderung und Ablehnung der Rückzahlung hat der Kläger erstinstanzlich mit Schriftsatz vom 16.10.2014 Klage erhoben, welche beim Arbeitsgericht Bamberg am 22.10.2014 eingegangen ist.

Die Klägerin vertritt erstinstanzlich die Auffassung, sie habe gegen den Beklagten einen Anspruch auf Zahlung in Höhe von 3.490,04 €. Mit ihrer Einwendung, den Anspruch des Bekla...

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