Entscheidungsstichwort (Thema)
Erlöschen des Urlaubsanspruchs nach Langzeiterkrankung. Zusatzurlaub des schwerbehinderten Menschen gem. § 208 Abs. 1 Satz 1 SGB IX
Leitsatz (redaktionell)
1. Auch wenn der Arbeitgeber seine Aufforderungs- und Hinweispflichten nicht erfüllt hat, verfällt der Urlaubsanspruch nach dem 31. März des zweiten auf das Urlaubsjahr folgenden Kalenderjahres, wenn der Arbeitnehmer aufgrund durchgehender krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit an der Urlaubsnahme gehindert war. Dies folgt aus einer richtlinienkonformen Auslegung des § 7 Abs. 3 BUrlG.
2. Der gesetzliche Anspruch auf Zusatzurlaub aus § 208 Abs. 1 Satz 1 SGB IX entsteht, wenn eine Schwerbehinderung vorliegt. Eine Anzeige gegenüber dem Arbeitgeber ist nicht erforderlich.
Normenkette
BUrlG § 7 Abs. 3-4; Arbeitszeit-RL Art. 7 Abs. 1; BGB § 275 Abs. 1; SGB IX § 208 Abs. 1 S. 1; RL 2003/88/EG Art. 7 Abs. 1; BUrlG § 11 Abs. 1 S. 1
Verfahrensgang
ArbG Nürnberg (Entscheidung vom 15.09.2020; Aktenzeichen 17 Sa 4787/19) |
Tenor
1. Auf die Berufung des Klägers wird das Endurteil des Arbeitsgerichts Nürnberg vom 15.09.2020, Az.: 17 Ca 4787/19, teilweise abgeändert.
2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 576,45 € brutto nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 06.09.2019 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
3. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
4. Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.
5. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Abgeltung von Urlaubsansprüchen und Zusatzurlaub für schwerbehinderte Menschen für die Jahre 2015 bis 2019.
Der Kläger war bei der Beklagten als Helfer beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis wird geregelt durch den schriftlichen Arbeitsvertrag vom 04.12.2000 (Bl. 15 f. d.A.). Der Kläger war in die Lohngruppe IV eingruppiert, danach war nach dem auf das Arbeitsverhältnis anwendbaren Lohnabkommens für die Druckindustrie (gültig ab 01. September 2018) ab Mai 2019 ein Bruttostundenlohn in Höhe von 16,47 € zu zahlen. Für das Arbeitsverhältnis galt eine 35-Stunden-Woche.
Der Kläger war seit spätestens 01.01.2015 durchgehend arbeitsunfähig erkrankt. Ebenso war bei ihm seit diesem Zeitpunkt eine Schwerbehinderung anerkannt, vgl. Bescheinigung des Versorgungsamts vom 22.07.2019, Bl. 27 d.A. und Kopie des Schwerbehindertenausweises des Klägers, Bl. 25 f. d.A.).
Das Arbeitsverhältnis endete mit Ablauf des 31.07.2019. Die Beklagte hat mit der Abrechnung für Juli 2019 (Anlage B1, Bl. 60 d.A.) insgesamt 50 Urlaubstage (für das Jahr 2018: 30 Urlaubstage, für das Jahr 2019: 20 Urlaubstage) in Höhe von 5.764,50 € brutto abgerechnet und ausbezahlt.
Mit Schreiben vom 02.09.2019 (Bl. 32 f. d.A.) ließ der Kläger die Beklagte unter Fristsetzung zur Abgeltung von Urlaubsansprüchen in Höhe von 19.938,21 € brutto auffordern. Die Beklagte hat mit Schreiben vom 06.09.2019 angekündigt, noch 15 Tage Urlaubstage abzugelten und 1.729,35 € brutto an den Kläger auszuzahlen, in Übrigen hat sie die Ansprüche des Klägers zurückgewiesen. Die Beklagte hat mit Nachberechnung vom September 2019 (Anlage B3; Bl. 64 d.A.) weitere 15 Urlaubstage (für das Jahr 2019: zehn Urlaubstage zuzüglich fünf Tage Zusatzurlaub für schwerbehinderte Menschen) in Höhe von 1.729,35 € brutto abgerechnet und ausgezahlt.
Mit seiner Klage vom 11.09.2019, eingegangen beim Arbeitsgericht Nürnberg am 12.09.2019 und der Beklagten am 19.09.2019 zugestellt, verfolgt der Kläger seine Ansprüche auf Urlaubsabgeltung in Höhe von 19.938,21 € brutto weiter.
Hinsichtlich des Vorbringens der Parteien in erster Instanz und der gestellten Anträge wird auf den Tatbestand der angefochtener Entscheidung verwiesen.
Das Arbeitsgericht Nürnberg hat mit Endurteil vom 15.09.2020 die Klage abgewiesen. Der Kläger habe nach Beendigung seines Arbeitsverhältnisses weder Anspruch auf die Abgeltung von Urlaubsansprüchen zuzüglich Zusatzurlaub für schwerbehinderte Menschen für die Jahre 2015, 2016 und 2017 noch auf Zahlung weiterer Urlaubsabgeltung für die Jahre 2018 und 2019 und den jeweiligen Zusatzurlaub für schwerbehinderte Menschen nach § 7 Abs. 4 BurlG. Der Anspruch auf Urlaubsabgeltung setze voraus, dass zum Zeitpunkt der rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses ein offener Urlaubsanspruch bestünde, der wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses ganz oder teilweise nicht mehr gewährt werden könne. Die Urlaubsabgeltungsansprüche des Klägers für die Jahre 2015, 2016 und 2017 sowie die jeweiligen Ansprüche auf Zusatzurlaub seien jedoch erloschen, da der Kläger durchgehend arbeitsunfähig erkrankt gewesen se:. Die Urlaubsansprüche seien erloschen, obwohl die Beklagte den Kläger unstreitig nicht auf den Verfall seiner bestehenden Urlaubsansprüche hingewiesen habe. Im Fall des langandauernd erkrankten Arbeitnehmers vermöge die Befristung des Urlaubsanspruchs den Arbeitnehmer nicht dazu anzuhalten, den Urlaub grundsätzlich in Urlaubsjahr geltend zu machen. Eine Aufforderung des Arbeitgebers führe in dies...