Entscheidungsstichwort (Thema)
Scheitern der Verhandlungen über Interessenausgleich. Einigungsstelle. Feststellung des Scheiterns
Leitsatz (redaktionell)
Das Scheitern der Verhandlungen über einen Interessenausgleich muss von der Einigungsstelle nach § 76 Abs. 3 BetrVG festgestellt werden. Die Feststellung des Scheiterns durch den Vorsitzenden allein genügt hierfür nicht.
Normenkette
BetrVG § 113 Abs. 1, 3, § 76 Abs. 3
Verfahrensgang
ArbG Weiden (Urteil vom 22.07.2003; Aktenzeichen 6(4) Ca 146/03 A) |
Nachgehend
Tenor
I. Das Urteil des Arbeitsgerichts Weiden vom 22.07.2003 wird wie folgt abgeändert:
- Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 19.12.2002 nicht zum 31.05.2003, sondern zum 30.06.2003 beendet worden ist.
- Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin als Abfindung für den Verlust des Arbeitsplatzes EUR 8.938,– (in Worten: Euro achttausendneunhundertachtunddreißig) brutto zu zahlen.
II. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
III. Bezüglich Ziffer I 2 wird die Revision zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Dauer einer Kündigungsfrist sowie um die Zahlung einer Abfindung.
Die Klägerin war seit 01.07.1992 bei der Beklagten beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis fanden kraft beiderseitiger Tarifbindung die Tarifverträge für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Einzelhandel in Bayern Anwendung.
Dem Arbeitsverhältnis lag darüber hinaus ein schriftlicher Arbeitsvertrag zugrunde. Es handelte sich um einen vorformulierten Vertrag, dessen § 9 „Kündigung” lautet:
„Bei fester Einstellung kann das Dienstverhältnis von beiden Parteien
- mit einer Frist von einem Monat zum Ende eines Kalendermonats (auszusprechen spätestens am Letzten eines Monats zum Letzten des nächsten Monats)
mit einer Frist von 6 Wochen zum Ende eines Kalendervierteljahres
je nach Vereinbarung entweder a) oder b) streichen!)
gekündigt werden, soweit gesetzliche Regelungen nichts anderes bestimmen (siehe Fußnote).
….”
Die Parteien hatten a) gestrichen.
Die Fußnote lautet auszugsweise:
„Für Angestellte in Betrieben mit in der Regel mehr als 2 Angestellten, die mindestens 5 Jahre nach Vollendung des 25. Lebensjahres beschäftigt sind, finden die Bestimmungen des Gesetzes über die Fristen für die Kündigung von Angestellten vom 9. Juli 1926 Anwendung.”
Mit Schreiben vom 19.12.2002 erklärte die Beklagte wegen der Schließung des Betriebs in A. die Kündigung des Arbeitsverhältnisses zum 31.05.2003.
Anlässlich der Schließung des Betriebs wurde eine Einigungsstelle mit dem Thema „Interessenausgleich und Sozialplan anlässlich der Schließung des Betriebs in A.” eingerichtet. Die Einigungsstelle verhandelte am 09.12.2002. Der Betriebsrat übergab einen von ihm gefertigten Entwurf eines Interessenausgleichs (Bl. 176 d.A.). Bei den Verhandlungen wurden verschiedene Lösungen besprochen.
Schließlich stellte der Vorsitzende der Einigungsstelle fest, dass die Verhandlungen über den Interessenausgleich gescheitert seien.
Wegen des Inhalts der Verhandlungen wird auf das Protokoll über die Sitzung vom 09.12.2002 Bezug genommen (Bl. 20 d.A.).
Die Klägerin macht mit der Klage zum einen geltend, die Beklagte habe die Kündigungsfrist nicht eingehalten. Zum anderen fordert sie eine Abfindung, da die Beklagte die Kündigung ausgesprochen habe, bevor im Sinne des § 113 Absatz 3 BetrVG ein Interessenausgleich versucht worden sei. Das Scheitern der Verhandlungen habe durch Beschluss der Einigungsstelle festgestellt werden müssen.
Das Erstgericht wies die Klage mit Urteil vom 22.07.2003 ab. Das Urteil wurde der Klägerin am 14.10.2003 zugestellt.
Die Klägerin legte am 22.10.2003 gegen das Urteil Berufung ein und begründete sie am 24.12.2003. Bis dahin war die Berufungsbegründungsfrist verlängert worden.
Die Klägerin macht geltend, die Kündigungsfrist betrage gemäß § 18 Ziffer 2 des Manteltarifvertrags 1989 für die Arbeitnehmer/Innen des Einzelhandels in Bayern fünf Monate zum Ende eines Kalendervierteljahres. Das Arbeitsverhältnis habe daher erst zum 30.06.2003 beendet werden können.
Die Klägerin führt aus, das Scheitern der Verhandlungen über den Interessenausgleich habe nicht vom Vorsitzenden allein festgestellt werden können. Vielmehr habe hierüber ein Beschluss der Einigungsstelle herbeigeführt werden müssen.
Die Klägerin beantragt:
- Das Urteil des Arbeitsgerichts Weiden, Kammer Schwandorf, Gerichtstag Amberg, 6 Ca 146/03 A vom 22.07.2003 wird abgeändert.
- Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien duch die Kündigung der Beklagten und Berufungsbeklagten vom 19.12.2002 nicht zum 31.05.2003, sondern zum 30.06.2003 geendet hat.
- Die Beklagte und Berufungsbeklagte wird verurteilt, der Klägerin und Berufungsklägerin gemäß § 113 Abs. 3 BetrVG eine Nachteilsausgleichszahlung, deren Höhe ausdrücklich in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, zu zahlen.
Die Beklagte beantragt:
- Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Weide...