Leitsatz (amtlich)

Von einem eigenen Normsetzungswillen der Tarifvertragsparteien, der einen Anspruch auf 100 % Entgeltfortzahlung festschreibt, ist auszugehen, wenn die tarifliche Regelung eine ungekürzte 100 %ige Absicherung des Arbeitnehmers im Krankheitsfall ausdrücklich vorsieht.

 

Normenkette

EFZG § 4 Abs. 1 S. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Bayreuth (Urteil vom 12.11.1997; Aktenzeichen 3 Ca 216/97 H)

 

Tenor

1. Auf die Berufung des Klägers wird das Endurteil des Arbeitsgerichts Bayreuth, Kammer Hof, vom 12.11.1997 – 3 Ca 216/97 H – in Ziffern I und II abgeändert.

2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger DM 31,36 (in Worten: Deutsche Mark einunddreißig 36/100) brutto nebst 4 % Zinsen aus dem sich ergebenden Nettobetrag seit 27.02.1997 zu zahlen.

3. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

4. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Frage, ob der Kläger Entgeltfortzahlung in Höhe von 100 % seines Bruttoverdienstes beanspruchen kann.

Der Kläger ist seit dem 03.12.1984 bei der Beklagten in deren Werk in … als Staplerfahrer beschäftigt. Aufgrund beiderseitiger Verbandszugehörigkeit findet auf das Arbeitsverhältnis der rheinland-pfälzische Rahmentarifvertrag für die Steine- und Erdenindustrie, gültig ab 01.01.1989 (im folgenden: RTV), Anwendung.

Der RTV enthält zur Frage der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall u. a. folgende Regelungen:

Ziff. 126

Wird der Arbeitnehmer durch Krankheit arbeitsunfähig, so wird der Verdienst nach den gesetzlichen Bestimmungen weitergezahlt.

Ziff. 127

Die Berechnung erfolgt nach Ziff. 208–214, bei Angestellten nach dem Durchschnittsverdienst der vorhergehenden 3 Kalendermonate.

Bei Anwendung dieser Berechnungsbestimmungen ist die Lohnfortzahlung des erkrankten Arbeitnehmers so zu berechnen, daß er nicht besser oder schlechter gestellt ist, als wenn er in dieser Zeit weiter im Betrieb arbeiten würde. Gegebenenfalls ist eine Vergleichsrechnung vorzunehmen.

Der Kläger war im November 1996 an einem Tag arbeitsunfähig erkrankt. Die Beklagte hat Entgeltfortzahlung in Höhe von 80 % des dem Kläger, wenn er nicht krank gewesen wäre, zustehenden Arbeitsentgelts geleistet. Den Differenzbetrag hat der Kläger mit seiner am 21.02.1997 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage geltend gemacht. Er hat die Auffassung vertreten, daß die Tarifvertragsparteien im RTV von 1989 die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall konstitutiv geregelt hätten, so daß § 4 Abs. 1 Satz 1 EFZG in der ab 01.10.1996 geltenden Fassung zurücktreten müsse.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 31,36 DM brutto nebst 4 % Zinsen aus dem sich ergebenden Nettobetrag seit 27.02.1997 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat die Ansicht vertreten, daß es sich bei Ziffer 126 des RTV nicht um eine eigenständige Regelung, sondern um eine deklaratorische Verweisung auf die jeweils geltenden gesetzlichen Bestimmungen handle. Diese würden dem Kläger aber nur eine 80 %ige Vergütungszahlung garantieren, so daß sein Begehren unbegründet sei.

Das Arbeitsgericht hat mit Endurteil vom 12.11.1997 die Klage abgewiesen und die Berufung dagegen zugelassen. Es hat die Auffassung vertreten, da Ziffer 126 RTV auf die gesetzlichen Bestimmungen verweise, könne ein eigener Rechtssetzungswille der Tarifvertragsparteien nicht angenommen werden. Der Lohnfortzahlungsanspruch des Klägers sei daher nach § 4 Abs. 1 Satz 1 EFZG in der Fassung ab 01.10.1996 auf 80 % des während der Krankheitszeit ausgefallenen Lohnes beschränkt.

Mit der am 07.01.1998 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen und am 04.02.1998 begründeten Berufung verfolgt der Kläger sein Verfahrensziel weiter. Wegen seines Berufungsvorbringens wird auf die Berufungsbegründungsschrift vom 04.02.1998 Bezug genommen.

Der Kläger beantragt:

  1. Auf die Berufung vom 07.01.1998 wird das Endurteil des Arbeitsgericht Bayreuth, Kammer Hof, Az.: 3 Ca 216/97 H, abgeändert.
  2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 31,36 DM brutto nebst 4 % Zinsen aus dem sich ergebenden Nettobetrag seit dem 27.02.1997 zu zahlen.
  3. Die Beklagte wird verurteilt, die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Hinsichtlich des Berufungsvorbringens der Beklagten wird auf die Berufungsbeantwortung vom 19.02.1998 verwiesen.

 

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung ist sachlich begründet.

Dem Kläger steht gegenüber der Beklagten ein Zahlungsanspruch in Höhe von 31,36 DM zu, da er entgegen der Auffassung des Erstgerichts Anspruch auf ungekürzte Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall hat.

Anspruchsgrundlage hierfür sind die Ziffern 126 und 127 RTV. Mit diesen Bestimmungen wollten die Tarifvertragsparteien eine eigenständige tarifvertragliche Regelung treffen, die den 100 %igen Entgeltfortzahlungsanspruch festschreibt.

Tarifvertragsnormen sind wie Gesetze auszulegen. Dabei ist zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen. Über den reinen Wortlaut hinaus ist jedoch weiter der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien und der d...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge