Entscheidungsstichwort (Thema)
Anfechtung der betriebsratsinternen Wahl eines freizustellenden Betriebsratsmitglieds bei unterlassener Beratung mit der Arbeitgeberin. Unbegründeter Wahlanfechtungsantrag von Betriebsratsmitgliedern bei arbeitgeberseitiger Zuweisung des Auswahlrechts für Freistellungen an Betriebsrat
Leitsatz (redaktionell)
1. Bei Ausscheiden eines nach § 38 Abs. 2 Satz 1 BetrVG im Wege der Verhältniswahl in die Freistellung gewählten Betriebsratsmitglieds ist das ersatzweise freizustellende Mitglied in entsprechender Anwendung des § 25 Abs. 2 Satz 1 BetrVG der Vorschlagsliste zu entnehmen, der das zu ersetzende Mitglied angehörte; ist die Liste erschöpft, wird das ersatzweise freizustellende Betriebsratsmitglied vom Betriebsrat im Wege der Mehrheitswahl gewählt.
2. Wählt der Betriebsrat nach Erschöpfung der Vorschlagsliste ein Betriebsratsmitglied im Wege der Mehrheitswahl in die Freistellung, nachdem ein Betriebsratsmitglied auf seine Freistellung verzichtet hat und das weiter auf der Vorschlagsliste aufgeführte Betriebsratsmitglied nicht mehr im Betrieb der Arbeitgeberin tätig ist, kann von einem offenkundigen Wahlmangel, der der Wahl auch nur den Anschein einer ordnungsgemäßen Wahl nehmen würde und damit nichtig werden lässt, nicht ausgegangen werden.
3. Entsprechend § 19 Abs. 1 BetrVG kann die betriebsratsinterne Wahl der freizustellenden Betriebsratsmitglieder beim Arbeitsgericht angefochten werden, wenn gegen wesentliche Vorschriften über das Wahlverfahren verstoßen worden ist und eine Berichtigung nicht erfolgt ist, es sei denn, dass durch den Verstoß das Wahlergebnis nicht geändert oder beeinflusst werden konnte; dazu ist entscheidend, ob eine Wahl ohne den Verstoß unter Berücksichtigung der konkreten Umstände bei einer hypothetischen Betrachtung zwingend zu demselben Ergebnis geführt hätte.
4. Eine verfahrensfehlerhafte Betriebsratswahl muss nur dann nicht wiederholt werden, wenn sich konkret feststellen lässt, dass auch bei der Einhaltung der Wahlvorschriften kein anderes Wahlergebnis erzielt worden wäre; kann diese Feststellung nicht getroffen werden, bleibt es bei der Unwirksamkeit der Wahl.
5. Hat die Arbeitgeberin keine eigenen Vorstellungen darüber, wer freizustellen ist, und hat sie dies in der Vergangenheit stets ausschließlich dem Betriebsrat überlassen, kann angesichts dieser Haltung auch bei Durchführung einer tatsächlich unterbliebenen Beratung mit der Arbeitgeberin im Sinne des § 38 Abs. 2 Satz 1 BetrVG eine "Beratung" der Betriebsratsmitglieder nicht stattfinden und ein anderes Wahlergebnis somit nicht erzielt werden.
Normenkette
ArbGG § 83 Abs. 3, § 87; BetrVG §§ 19, 25 Abs. 2 S. 1, § 38 Abs. 2 S. 1, § 19 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Mainz (Entscheidung vom 09.01.2015; Aktenzeichen 8 BV 44/14) |
Nachgehend
Tenor
Gründe
A Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit der Wahl eines freizustellenden Betriebsratsmitglieds.
Die Beteiligten zu 1) bis 3) sind Mitglieder des Beteiligten zu 4) (im Folgenden: Betriebsrat), des bei der Beteiligten zu 5) (im Folgenden: Arbeitgeberin) gebildeten Betriebsrates. Die Mitglieder des Betriebsrates entstammen vier Vorschlagslisten, der Freien Wählergruppe, der VAA-Liste-B, der Initiative Liste und der Liste IG BCE. Die Beteiligten zu 1) bis 3) gehören der Initiative Liste an.
In der Betriebsratssitzung vom 24. März 2014 wurden die freizustellenden Betriebsratsmitglieder im Wege der Verhältniswahl gewählt. Auf der Vorschlagsliste der Initiative Liste befanden sind B S und A B. Auf die Initiative Liste entfielen 6 abgegebene Stimmen, was einer Freistellung entspricht. Das danach in die Freistellung gewählte Betriebsratsmitglied der Initiativen Liste B S widerrief in der Folge seine Freistellung zum 01. Juni 2014, um seine Arbeitstätigkeit wieder aufzunehmen. Das Betriebsratsmitglied A B war zwischenzeitlich nicht mehr im Unternehmen der Arbeitgeberin tätig.
In der Betriebsratssitzung vom 24. Juli 2014 bestimmte der Vorsitzende des Betriebsrats das Betriebsratsmitglied W K. als freigestelltes Mitglied. Die Beteiligten führen deswegen beim Arbeitsgericht Mainz ein Verfahren unter dem Aktenzeichen 1 BV 31/14.
Eine gütliche Einigung über die Freistellung kam in der Folgezeit nicht zustande, nachdem der Vorsitzende des Betriebsrates, der Kompromissvorschläge der Beteiligten zu 1) bis 3) und der Arbeitgeberin abgelehnt hatte, nicht mit einem Nachrücken der Beteiligten zu 1) als Angehöriger der Initiative Liste in die Freistellung einverstanden war.
Mit E-Mail vom 10. Oktober 2014 lud der Vorsitzende des Betriebsrats die Mitglieder zu einer Betriebsratssitzung am 16. Oktober 2014 ein, wobei sich auf der Tagesordnung unter anderem der Tagesordnungspunkt "Wahl eines freigestellten Betriebsratsmitglieds" befand...