Entscheidungsstichwort (Thema)

Transparenz- und Klarheitsgebot in Allgemeinen Geschäftsbedingungen. Rechtscharakter der AVR Caritas. Rechtsmissbräuchliche Umgehung der Rechtsfolgen einer gesetzlichen Regelung. Unklarheitenregel des § 305c Abs. 2 BGB

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Eine unangemessene Benachteiligung kann sich daraus ergeben, dass eine Bestimmung nicht klar und verständlich ist. Das Transparenzgebot verpflichtet den Verwender, seine Vertragsklauseln so zu gestalten, dass ein sorgfältiger, juristisch nicht vorgebildeter Leser in der Lage ist, den Inhalt der Klausel zu erfassen. Die Klausel muss die wirtschaftlichen Nachteile und Belastungen für einen durchschnittlichen Vertragspartner soweit erkennen lassen, wie dies unter Berücksichtigung von Treu und Glauben nach den Umständen gefordert werden kann.

2. Die Vergütungsregelungen der AVR Caritas sind kein Tarifvertrag im Sinn des § 310 Abs. 4 Satz 3 BGB. Sie sind Tarifverträgen, Betriebs- und Dienstvereinbarungen mangels Regelungslücke auch nicht gleichzustellen. Nach ständiger Rechtsprechung handelt es sich bei solchen kirchlichen Arbeitsrechtsregelungen um Allgemeine Geschäftsbedingungen, welchen mangels normativer Wirkung in privatrechtlichen Arbeitsverhältnissen nur über Bezugnahmeklauseln in Arbeitsverträgen Wirkung verschafft werden kann.

3. Ein Rechtsgeschäft darf und kann die mit ihm beabsichtigte Wirkung nicht entfalten, wenn es sich als objektive Umgehung zwingender Rechtsnormen darstellt. Das ist der Fall, wenn der Zweck einer zwingenden Rechtsnorm dadurch vereitelt wird, dass andere rechtliche Gestaltungsmöglichkeiten missbräuchlich verwendet werden.

4. Nach § 305c Abs. 2 BGB gehen Zweifel bei der Auslegung Allgemeiner Geschäftsbedingungen zu Lasten des Verwenders. Außer Betracht bleiben dabei solche Verständnismöglichkeiten, die zwar theoretisch denkbar, praktisch aber fernliegend und daher nicht ernstlich in Betracht zu ziehen sind. Die Unklarheitenregel beruht auf dem Gedanken, dass es Sache des Verwenders ist, sich klar und unmissverständlich auszudrücken.

 

Normenkette

BGB §§ 134, 138 Abs. 1, § 305c Abs. 2, § 307 Abs. 1, 2 S. 1, Abs. 3 S. 1, § 310 Abs. 4 S. 3, § 397 Abs. 1, § 613a Abs. 1 S. 1; AVR Caritas §§ 14-15

 

Verfahrensgang

ArbG Mainz (Entscheidung vom 21.04.2022; Aktenzeichen 5 Ca 624/21)

 

Tenor

  1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Mainz - Auswärtige Kammern Bad Kreuznach - vom 21.04.2022, Az.: 5 Ca 624/21, wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.
  2. Die Revision wird nicht zugelassen.
 

Tatbestand

Die Parteien streiten über Ansprüche auf Differenzvergütung nach Abschluss einer Änderungsvereinbarung im Zusammenhang mit einer sogenannten "Reha-Rahmenvereinbarung".

Der 1976 geborene Kläger ist seit dem 01.01.2007 bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin (C. C-Stadt e. V. [im Folgenden: c.], später: Cu. Trägergesellschaft C-Stadt mbH [im Folgenden: c. mbH]) als Sporttherapeut in der Psychosomatischen Fachklinik St. F.in B.Stadt beschäftigt. Dem Arbeitsverhältnis lag ein Dienstvertrag vom 04.12.2006 (Bl. 70 f. d. A.) zugrunde. Nach § 2 Satz 1 dieses Dienstvertrages galten für das Dienstverhältnis die "Richtlinien für Arbeitsverträge in den Einrichtungen des Deutschen Caritasverbandes" (im Folgenden: AVR Caritas) in ihrer jeweils geltenden Fassung. Die wöchentliche Arbeitszeit des Klägers beträgt zuletzt nach § 1 Abs. 1 des 3. Nachtrags zum Dienstvertrag vom 14.01.2021 (Bl. 8 d. A.) ab dem 01.04.2021 befristet bis 31.03.2023 "80 % (zurzeit 31,20 Stunden in der Woche)". Sein monatlicher Arbeitslohn beträgt aktuell 3.608,43 € brutto zzgl. einer jährlichen Sonderzuwendung in Höhe von 45,70 % eines Bruttomonatslohes, was einem Bruttojahresgehalt von insgesamt 44.950,11 € entspricht. Bis zum 31.03.2021 war der Kläger mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 39 Stunden und einem monatlichen Arbeitsentgelt iHv. 4.448,26 € brutto beschäftigt.

Die Rechtsvorgängerin der Beklagten, die c. mbH, ist ein gemeinnütziger Rechtsträger von Einrichtungen im Sozial- und Pflegedienst. Sie bekennt sich zur Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse (im Folgenden: GrO) und wendet in ihren Einrichtungen ein Arbeitsrechtsregime an, das durch paritätisch besetzte Kommissionen im kirchlichen Bereich auf dem Dritten Weg zustande gekommen ist. Dies sind heute durchgehend in sämtlichen Arbeitsverhältnissen, mit Ausnahme der leitenden Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, die AVR Caritas. Die c. mbH war bzw. ist kirchenrechtlich zur Anwendung der AVR Caritas auf die Arbeitsverhältnisse der Mitarbeiter verpflichtet. Neben Einrichtungen der Altenhilfe, der Kinder- und Jugendhilfe sowie der medizinischen Akutversorgung betrieb die c. im Jahr 2013 auch fünf Kliniken der medizinischen Rehabilitation.

Die Arbeitsleistung in Einrichtungen der medizinischen Rehabilitation ist in den Vergütungsstrukturen der AVR Caritas nicht gesondert geregelt.

Die vergütungsrelevanten Vorschriften der AVR Caritas wurden erstmals bereits i...

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